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#57   ddddddd26.05.2005 - 22:50
Bischof

Es gehört zu den Aufgaben des Bischofs,in der Vielfalt der historischen Situation,in denen die Gläubigen,das in der Taufe verliehene allgemeine Priestertum leben,die Einheit und Einfachheit des Glaubens sichtbar zu machen.Er lebt sein Leben aus der Beziehung zu Christus und als Dienst an den Gläubigen,denen er hilft,den Weg zu finden,den der Heilige Geist für jeden einzelnen vorgesehen hat.Er muß die Wirklichkeit des Lebens mit den Augen des Glaubens und des Herzens lesen und verstehen können.Er braucht das Einfühlungsvermögen,das sich eins weiß mit der Liebe weiß mit der Liebe Gottes zu allen Geschöpfen.So hilft er den Gläubigen,wenn es darum geht,den in der Taufe empfangenen Geist in Familie und Gesellschaft wirksam werden zu lassen,in Freude und Schmerz,im Beruf und in der Politik.Es gehört zu den Aufgaben des Bischofs,den Gläubigen zu begleiten und zu stärken,der in der spirituellen Situation der gegenwärtigen Welt seinen Weg geht und mit seinem Leben Zeichen der vollkommenen Gerechtigkeit,der Freiheit und des Lobes Gott setzt.

Darin besteht die Aufgabe des Bischofs,und dies ist seine Sicht auf die Wirklichkeit.Davon ist sein Handeln bestimmt,von hier erhält sein vielfältiger Einsatz die innere Einheit.Notwendigerweise unterscheidet sich seine Sichtweise von jeder anderen,und siedarf nicht mit einem Urteil über Politik,Gesellschaft,Wirtschaf t oder Kultur gleichgesetzt werden.Man kann es so sehen,daß seine Sichtweise all diese Bereiche im Urteil des betrachtenden Glaubens zusammenführt:Er blickt im Glauben auf die Wirklichkeit und die hinter den Dingen liegende Wirklichkeit,und er sieht auf die Menschen und das in den Menschen wirksame Gute.


Berufung

Die Berufung ist ein Wort,das an mich ergeht.Sie ist ein Beziehungsgeschehen,das heißt ,daß sie in der Beziehung entsteht und wächst.Sie wird weniger und schwächer,wenn die Beziehung und das Gespräch weniger werden.

Berufung ist die Annahme eines Gespräches ,in dem ich weder das erste noch das letzte Wort habe:Ich muß antworten.Wichtig ist,das man das Gespräch annimmt.Wie macht man das,daß ein Gespräch stattfindet und daß unser Gebet oder die Frage nach der Berufung nicht nur einen Monolog darstellt?

Es gibt keinen anderen Weg,als das Wort Gottes als Wort ernstzunehmen,es sprechen zu lassen,ihm den Vorrang zu geben,um dann zu antworten.Es gilt,die Heilige Schrift ernstzunehmen als Wort,das zu mir gesprochen ist,sie als Beginn des Berufungsgespräch zu lesen und zu hören und dieses Gespräch aufrechtzuerhalten.

Ohne tägliche Meditation des Wortes Gottes - die kurz sein kann,aber konsequent eingehalten werden muß - ist es schwierig,einen fruchtbaren Dialog über seine Berufung zu beginnen und zu führen.Ohne tägliche Meditation ist es schwierig,die Tür für das Wort Gottes offenzuhalten.



Beruf

Die hohen ethischen Ansprüche, die an den Beruf gestellt werden,begründen und fordern zugleich,daß auch die religiöse und theologische Sicht zum Tragen kommt.Erst in der Erörterung dieser religiösen und theologischen Diemension wird die tiefste Bedeutung des Berufs sichtbar,und es wird zudem verständlich,warum die Kirche so großes Interesse an dem Thema hat.Der Beruf ist ganz wesentlich auf den Dienst am Menschen ausgerichtet.Damit ist er faktisch eine besondere Verwirklichungsform der christlichen Nächstenliebe,und das heißt des grundlegenden Gebotes Gottes.

Die sprachgeschichtliche Herleitung des Wortes scheint anzudeuten,daß die Ausübung eines Berufes die bevorzugte und öffentliche Weise der Verwirklichung der eigenen Berufung ist.Der Beruf ist die Antwort der Person auf das Wort oder den Ruf Gottes,und damit ist er der eigentliche und letztendliche Sinn der eigenen Existenz in der Zeit.

Der Beruf wird so zum "Ort" ,an dem nicht nur eine echte personale und gemeinschaftliche Kommunikation stattfindet.Und man kann davon ausgehen,daß die beiden Formen der Kommunikation - die gesellschaftliche und die religiöse - nicht nur äußerlich nebeneinander bestehen,sondern sich gegenseitig so durchdringen,daß die eine zur Bedingung der anderen wird.



Begegnung

Wir müssen neu entdecken,was Begegnung bedeutet.Wirkliche Begegnung - die Begegnung mit Völkern anderer Kulturen und völlig anderen Mentalität.mit völlig unterschiedlichen Vorstellungen im Hinblick auf das Leben und die Lebensführung - findet nicht auf technologischer Basis statt,sie ergibt sich auch nicht im Gefolge einer engen ,eventuell sogar sehr brüderlichen Zusammenarbeit.Authentische und wahre Begegnung im eigentlichen Sinn ereignet sich vielmehr in der Tiefe,an den Wurzeln der Person,dort wo sie sie selbst ist und nicht nur etwas tut oder produziert,

Das aufmerksame und geduldige Aufeinanderhören unterschiedlicher Kulturen,die Fähigkeit,Enfaltungsmöglichk eiten,die eine gemeinsamen Weg eröffnen,gegenseitig wahrzunehmen,die seltene Eigenschaft,den anderen auf den Weg zu begleiten,ohne sich ihm aufzudrängen und ohne über ihn zu bestimmenas alles sind Gaben Gottes,die wir nur finden,wenn wir nach Wesentlichen suchen.

Wie Jesus,der bei Tagesanbruch die Stadt verließ und an einen einsamen Ort ging (Lk4,42)oder sich allein auf den Berg zurückzog (Joh 6,15),muß auch der vielbeschäftige Mensch einen Raum suchen,wo für ihn die Gegenwart Gottes (der anwesend ist,wo wahrhaft gelebt wird)und zugleich die Hinfälligkeit alles dessen,was dem Plan Gottes widerspricht erfahrbar wird.


Beharrlichkeit

Es ist mühsam,beharrlich zu sein,es ist mühsam,den Herrn immer wieder zu bitten.Wenn unser Gebet offensichtlich nicht erhört wird,stellen wir uns vor,Gott sei vielleicht taub.Wir kommen uns dann vor wie jemand,der draußen steht und hofft,daß der andere sich rührt,ihm die Tür öffnet.Je mehr Zeit vergeht,um so mehr verlieren wir das Vertrauen in Gott.

Aber Jesus sagt uns immer wieder:Fahre fort zu bitten,denn schon das Bitten ist die Erhörung (vergl.Mt7,7-11).Wenn du nicht nachläßt,die schlichten,einfachen Gebetsworte immer wieder vorzubringen,wirst du auf geheimnisvolle Weise zum Sohn,und du erhälst dann sogar noch Brot,mit dem du andere ernähren kannst,selbst wenn du dich selbst müde,geistlich trocken und armselig fühlst.

Ein solches fruchtbares Gebet ist kein leichtes,gelassenes,freudiges Gebet,sondern ein leidvolles Gebet.Aber es ist ein Gebet,auf das hin uns Gott das wahre Brot gibt,das im Wissen um unsere Kindschaft besteht.

Hier kann man natürlich die Frage stellenraucht denn Gott unsere Beharrlichkeit?Weiß er nicht besser als wir selbst,was wir nötig haben?

In Wirklichkeit hat die Beharrlichkeit im Beten unsere Läuterung zum Ziel.Und die demütigende Erkenntnis,daß wir nicht zu beten wissen,läßt uns zu Kindern Gottes werden.


#56   ddddddd26.05.2005 - 22:20
Europa und die USA: Clash of Cultures?
Staat versus Privat &150; Zwischen Sicherheit, Flexibilität und Flexicurity
Manfred Prisching



Alpbach, Wirtschaftsgespräche 2003


Univ.Prof. Mag. Dr. Manfred Prisching, Institut für Soziologie, Universität Graz, Universitätsstraße 15, 8010 Graz, EM manfred.prisching@uni-graz.at


Auf die Frage, was er als Erstes tun würde, um das Reich in Ordnung zu bringen, soll Konfuzius geantwortet haben, als Erstes würde er die Begriffe klären. Nun könnten wir uns fragen, welches Reich es denn heutzutage in Ordnung zu bringen gäbe; aber das wäre wohl kaum unsere Aufgabe. Ein paar Begriffe sind aber allemal zu ordnen; denn im Titel des Vortrags stecken mehrere Gegensätze.

Es ist zum Ersten die Konfrontation von Staat versus Privat. Diese Konfrontation ist missverständlich; denn man könnte reden über die Gefährdung des Privatlebens, über Intimität und Publizität, über private Rechte und öffentliche Pflichten (Sennett 1983). In unserem Kontext sind wohl eher ökonomische Kategorien gemeint: Staatsquote, Staatsausgaben, Staatseingriffe, Sicherung privater Verfügungsbereiche und dergleichen &150; also vor allem die klassische Konfrontation von Staat versus Markt.1

Zum Zweiten ist die Konfrontation von Sicherheit und Flexibilität angesprochen. Sie ist nicht identisch mit dem Verhältnis von Staat und Privat; es wäre eine unzulässige Vereinfachung zu meinen, dass der Staat für die Sicherheit und der Markt für die Flexibilität stehe, auch wenn diese spontane Assoziation nicht ganz aus der Luft gegriffen ist. Es gibt jedoch auch Märkte, die für Sicherheit sorgen: etwa Versicherungsmärkte; und es gibt verschiedentlich Bereiche, in denen sogar der Staat mit einer gewissen Flexibilität agiert &150; also keine wasserdichte Zwei-Welten-Lehre.

Zum Dritten ist die Konfrontation Europa versus USA angesprochen. Diese Gegenüberstellung speist sich nicht nur aus den aktuellen Verständigungsproblemen nach dem Irak-Krieg, sondern auch aus der neuerdings verstärkt auftauchenden Vermutung, es könne sich hierbei um einen Clash of Cultures, wie es im Titel der Veranstaltung heißt, handeln. Irgendwie scheinen wir nicht nur mit den Islamisten, sondern auch mit den &132;Amerikanisten&147; Scherereien zu haben (Prisching 2002b): Der Cowboy-Hut ist uns bald genau so verdächtig wie der Schador.2

Es erhebt sich der Verdacht, dass die Konfrontation der drei Begriffspaare darauf hinauslaufen könnte, dass in einer ordentlich sortierten Welt Europa für das Staatliche und die Sicherheit und die USA3 für das Private und die Flexibilität steht. Eine gängige Gegenüberstellung.

* Europa scheint etatistisch, staatsorientiert, unflexibel, bürokratisch, hierarchisch, deshalb auch undynamisch zu sein. Europa ist ein wenig &132;sozialistischer&147; als die USA, ja es ist zeitweise von Amerikanern generell als ein bisschen &132;ostblockartig&147; betrachtet worden. Die Bewertungen des Sachverhalts können unterschiedlich sein. Gutes Europa: soziale Absicherung, hohe Löhne, ordentliches Gesundheitswesen, friedliche industrielle Beziehungen. Böses Europa: sklerotische Gewerkschaften, Inflexibilität, Arbeitslosigkeit, Übersozialisierung.
* Die USA andererseits scheinen individualistisch, antistaatlich, flexibel, unbürokratisch, deshalb auch dynamisch zu sein. Die USA sind &132;kapitalistischer&147; als die europäischen Länder, ja sie werden neuerdings als &132;turbokapitalistisch&147; (Luttwak 1999) gescholten. Auch hier der wertende Gegensatz: Gute USA: dynamisch, freie Märkte, Beschäftigungswunder, keine Bürokratie. Böse USA: Defizite in der sozialen Sicherung, steigende Ungleichheit, hohe Armutsquote, Millionen ohne Krankenschutz, Gefängnisse, Rassenunterschiede...

Damit sind Schubladisierungen vorgenommen: die Kindergartenvariante der Welt, eine klare Sonderung der Guten und Bösen. Beschränkte Geister lieben solche Dichotomien. Sie werden in unterschiedlicher Weise gehätschelt: In Amerika pflegt man neuerdings die Staaten auf diese Art zu sortieren. In Europa gibt es alle Varianten von Amerika-Phobien und Philo-Amerikanismen, linker und rechter Provenienz (vgl. die Übersicht bei Herzinger /Stein 1995). Das Problem der mittleren Lösungen kommt bei solchen Dichotomien gar nicht erst in den Blick: Flexicurity etwa; oder auch die &132;soziale Marktwirtschaft&147;, jenes Modell, auf das sich Europäer deswegen so begeistert einigen, weil jeder von ihnen etwas anderes darunter versteht, ein Modell, mit dem Amerikaner üblicherweise nichts anfangen können, weil sie sich darunter gar nichts Vernünftiges vorstellen können.
I. Zwei Kulturen und ein Kulturkreis


Samuel Huntington (1998) hat Europa und Amerika demselben westlich-angloamerikanischen Kulturkreis zugezählt, und gegenüber dem Islam oder dem Hinduismus kann man das Gemeinsame hervorstreichen. Aber offensichtlich gibt es auch innerhalb des westlichen Kulturkreises Unterschiedlichkeiten der vorhandenen &132;Subsysteme&147;, die manche Bewohner irritieren oder Unverständnis auslösen4; oft sogar eine Fassungslosigkeit, welche Europäer bei näherer Bekanntschaft mit dem amerikanischen Alltags-, Wirtschafts-, Bildungs- oder Politikleben beschleicht und sie oft nur stammeln lässt: &132;It&145;s different.&147;

Amerika ist natürlich ein Abkömmling Europas, ebenso wie dies seinerzeit die Sowjetunion war5, und doch gibt es &132;interkulturelle&147; Verständnisschwierigkeiten zwischen Europa und den USA. Um dem Problem grundlegender Weltsichten näherzukommen, muss man ein wenig Gründungsgeschichte und Mentalitätsgeschichte, Ideen- und Kulturgeschichte betreiben, und man muss sich mit Alltagskultur und Wirtschaftskultur beschäftigen. Das möchte ich &150; in der gebotenen Verknappung &150; tun, natürlich mit dem Blick auf die hier interessierenden Probleme von Staat, Markt, Privatheit, Sicherheit, Flexibilität, Wohlfahrt und dergleichen. Die chronologische Kontinuität der beiden &132;Geschichten&147; wird die synchrone Diskontinuität &150; die Kluft &150; verständlicher machen.6 In welchen &132;Welten&147; wird gedacht, auf dem alten und auf dem neuen Kontinent?
1. Der amerikanische Exzeptionalismus



Der amerikanische Exzeptionalismus, wie ihn etwa Seymour Martin Lipset (1996) beschrieben hat, ist unumgehbarer Ausgangspunkt. Amerika ist ein Ausnahmeland, Hort der Freiheit und des Individualismus; God&145;s own country. Der American Creed ist grundsätzlich gegen Regierung und Staat, gegen Autorität und Hierarchie gerichtet; er ist individualistisch, moralistisch, demokratisch und egalitär; gekennzeichnet von einem ausgeprägten Rationalismus und Pragmatismus, dem Glauben an die praktische Vernünftigkeit des Handelns, der Wertschätzung harter Arbeit; er beinhaltet das Lob der Selbstverantwortung; Egalität. Das sind die Zutaten für die amerikanische Rezeptur.

Wertsysteme fallen nicht vom Himmel. Ein (nicht ganz unbekanntes) Zitat verweist auf die Motive der Auswanderung und der Gründung einer neuen Gesellschaft, eine Einstellung, die bis heute nachwirkt:

&132;Der HERR hat uns hierhergebracht, über die tosenden Meere, durch Gefahren, welche von Piraten drohten, von lecken Schiffsrümpfen, Stürmen, Feuern, Riffen, Untiefen, Krankheiten, Hungersnöten; und er hat uns diese vielen Jahre bewahrt vor dem Zorn von Fürsten, dem Neid und der Wut von Prälaten, den bösartigen Intrigen von Jesuiten, den meuterischen Anschlägen unzufriedener Menschen, den offenen und verborgenen Angriffen von barbarischen Indianern, den aufrührerischen und zersetzenden Machenschaften von falschen Brüdern.&147;

So dankte John Winthrop dem Herrn im Jahre 1643. In diesen Worten ist der Gründungsmythos festgehalten, ohne den Amerika nicht zu verstehen ist: die großen Gefahren; die Vorsehung Gottes; ein neues, ganz anderes Land. Wir können einige Elemente festhalten.

* Erstens: Die große Wanderung hatte in einer gänzlich neuen Gesellschaft geendet: mundus novus. Der &132;Covenant of Grace&147; war wie eine &132;Stadt, gelegen auf einem Hügel&147;, &132;für alle Welt offen zu schauen&147;. Es war das ganz Neue: ein &132;gelobtes Land&147;, eine &132;Arche in Zeiten der Sintflut&147;, das &132;neue Kanaan&147;. Und doch das ganz Alte: der wiedergewonnene Garten Eden; eine göttliche Gründung.7 Ein transatlantisches Arkadien, das bessere England.8
* Zweitens: Amerika wurde in Absetzung von der alten Welt und ihren Obrigkeiten gegründet, eine neue Identität aus der Nichtidentität mit Europa: eine andersartige Gesellschaft, die von der feudalistischen Vergangenheit unbelastet war; eine Gesellschaft ohne rigide Klassenschranken und Klassengegensätze; ein rein bourgeoises Land. Deshalb sind Amerikaner keine Sozialisten (Lipset/ Marks 2001), sondern geborene Konservative und Liberale, sie brauchten sich ihren Platz in der Gesellschaft nicht gegen eine überhebliche, parasitäre Oberschicht erkämpfen. In einer völlig neuen Welt wird ein völlig neues Spiel gespielt.
* Drittens: Am Anfang steht eine Übereinkunft freier Menschen. Die amerikanischen Werte, als Plattform für den amerikanischen Lebensstil generell, sind nicht nur Propaganda. Wer kommt, sich einfügt und die Ärmel aufkrempelt, der gehört dazu. Die Ausländer pflegen über die Zeremonien an den Schulen &150; Aufziehen der Fahne, Absingen der Hymne, Hand ans Herz gepresst &150; zu lächeln. Aber das amerikanische Schulsystem, das aus der jeweils zweiten Generation der Immigranten &132;Amerikaner&147; machte, in Absetzung von den Werten und Auffassungen ihrer Eltern, die alsbald von den Kindern als &132;fremdartig&147; empfunden wurden, durch Einprägung eines neuen Lebensstils, einer neuen Denkweise, eines neuen Charakters, &150; dieses Schulsystem hat Wichtiges geleistet, um auf der Grundlage der American values eine geeinte Nation zu bauen: eine Nation, die als &132;Hort der Freiheit&147; in rechtlich-politischen Kategorien definiert wird, nicht in kulturell-historisch-ethnischen Kategorien wie im blutrünstigen Europa; ein aufklärerisch-demokratisches Rahmenwerk auf einer starken emotionellen Grundlage. Die Verwerfung der Kultur des Vaters ging &150; freudianisch gesprochen &150; hand in hand mit der Verwerfung der Kultur Europas oder jener anderer Länder, und die Abschüttelung dieses Treueverhältnisses war zugleich die Abschüttelung jedweder Autorität.
* Viertens: Es ist eine Identität durch Bekenntnis. In Europa sind die Gemeinschaften &150; die Völker und Staaten &150; durch Zugehörigkeit, durch Geburt, durch geborene Identität definiert. In den USA gehört dazu, wer sich zu grundlegenden Werten bekennt: eine horizontale Zugehörigkeit, die eigentlich keiner Staatlichkeit bedarf. Es ist eine gesellschaftlich begründete, keine staatspolitische Identität. Die Zugehörigkeit durch Bekenntnis schließt leichter ein, sie schließt aber auch leichter aus.9 Wer sich der &132;unamerikanischen Umtriebe&147; schuldig oder auch nur verdächtig gemacht hat (oder zwischen Soldat und Terrorist einzustufen ist), der hat nicht Anteil an der bekenntnisverbürgten Gemeinschaft (und es müssen ihm auch die daran gekoppelten Rechte nicht gewährt werden). Die Bedeutung des Bekenntnisses erklärt jene (durchaus beeindruckenden) Rituale, die in Bedrohungssituationen zelebriert werden: die patriotischen Veranstaltungen nach 9/11; die kollektive feierliche Beschwörung des Gemeinschaftsversprechens. In Europa, in den &132;bekenntnislosen&147;10 Ländern, würde dies bloß ein Schulterzucken auslösen, weil es &150; im wahrsten Sinne &150; eine sinnhaft wesentlich abgemagerte Veranstaltung wäre.

2. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten


Der Gründungsmythos lebt. Es wäre falsch, Amerika als modernes, rationales, technokratisches Land zu sehen, das seine (ohnehin kurze) Vergangenheit radikal hinter sich lässt. Es ist in gewisser Hinsicht sehr traditionell und emotionell. Die großen politischen Gestalten der Vergangenheit werden viel öfter zitiert als in Europa. Jede Inaugurationsrede und State of the Union-Address des Präsidenten spricht &150; pathetisch und bewegend &150; Aspekte des Gründungsmythos an, und der Amtsinhaber ist verpflichtet, dies zu tun, wenn er Resonanz finden will. Oft ist es mehr Rhetorik als Substanz: &132;Die politische Atmosphäre der USA ist von Ideen durchsetzt, die ausgebrannt sind wie erkaltete Sterne, die jedoch in der Diskussion über bestimmte Politik immer noch im Mittelpunkt stehen.&147; (Pfaff 1989, 18) Aber der Mythos trägt auch den amerikanischen Traum, und damit kommen wir zur wirtschaftlichen Seite des Exzeptionalismus.

Der American Dream ist &150; in seiner jeweils aktuellen Fassung &150; ein Gebilde von ungebrochener Kraft, trotz aller sozialen Verwerfungen im Lande selbst, und er wirkt bis nach Europa und vielleicht sogar hier besonders. Amerika ist und bleibt das Land der unbegrenzten Möglichkeiten &150; eine Vision, die durch Heldengeschichten immer wieder aufpoliert wird. Es ist heutzutage nicht mehr der Mythos vom Aufstieg des Tellerwäschers, der Generationen von Einwanderern ins Land gezogen hat, nicht einmal unbedingt jener des Werkzeugmachers, der ein Großunternehmen geschaffen hat; eher der autonome Technikbastler mit seinen High-Tech-Ideen. Wer immer eine Garage besitzt, ist auf dem besten Weg, einen Weltkonzern auf die Beine zu stellen. Und wenn man das nicht will, kann man immer noch an der Börse spekulieren. Zu all dem braucht man den Staat nicht.

* Erstens: Es handelt sich um ein universelles Freiheits-, aber auch um ein Bereicherungsversprechen. Im Grunde kann man tun, was man will. Im Grunde kann man so viel Geld verdienen, wie man verdienen kann, ohne dass man ein europäisch schlechtes Gewissen haben müsste. Im Kontrast zu diesen Optionen werden die europäischen Staaten für konfus, wehleidig, unfrei, langsam, schwächlich, hemmend gehalten.
* Zweitens: Der Amerikaner unterliegt einer Optimismusverpflichtung. Er ist immer unterwegs zu neuen Chancen, und er hat zu diesem Behufe gut drauf zu sein. Die allgegenwärtige Frage: &132;How are you today?&147; ist in korrekter Weise positiv zu beantworten: Man ist &132;fine&147;, und es ist überhaupt &132;a great day&147;. Auch sonst hat alles großartig zu sein, wenn man keinen faux pas begehen will. Das ist alles ein wenig oberflächlich, ritualisierte Konversation, in optimistische Stimmungslage getunkt wie die Frühstückschips in Zuckerwasser.11
* Drittens: Das Resignationsverbot schließt die Wiederholungsmöglichkeit, die zweite Chance, ein. Selbst wenn einmal etwas schief gegangen ist, dann wird es vielleicht das nächste Mal klappen. Der Kern der Botschaft, die auch der amerikanische Roman und der amerikanische Film (Rutschky 2000) dem Leser übermitteln, ist: Alles ist möglich. Du kannst ein anderer werden. Du kannst dich verwandeln. Du kannst ein neues Leben beginnen. Fang sofort damit an &150; und sofort meint wirklich: sofort.

3. Der europäische Exzeptionalismus


Was sind die Bilder, wenn wir an die Geschichte Amerikas denken? Der Wilde Westen, die Kriege gegen die Indianer, die Eroberung des Kontinents durch die Eisenbahn, New York, Auswanderer, Kapitol, Ford und sein Auto... Was sind die Bilder, wenn wir an die Geschichte Europas denken? Schlösser, Schlachten, Fürsten, Vatikan, Michelangelo und Mozart.... Ein bisschen mehr Wildheit und Heroik in den USA, ein bisschen mehr Kultur und Aristokratie in Europa. Die europäischen Mythen ranken sich weniger um die großen technologischen Durchbrüche der Zukunft, sondern um die kulturellen Leistungen der Vergangenheit. Daraus bezeiht auch der europäische Antiamerikanismus seinen Stoff: Die Europäer sind eben kultiviert, und die Amerikaner nicht.

Auch das Bild, das Amerikaner von Europa haben, ist ambivalent: Die Kultur ist bewundernswert, wenn auch alles ein bisschen veraltet anmutet. Ansonsten kann sich die freundlich-nostalgische Haltung zuweilen auch zu einem Anti-Europäismus steigern. Kurz vor der Landung in Sizilien im Juli 1943 erließ der amerikanische General Patton einen Tagesbefehl, um den Kampfgeist der ihm unterstehenden Truppen zu heben. Darin hieß es:

&132;Viele unter euch haben deutsches und italienisches Blut in den Adern; denket jedoch daran, dass diese eure Vorfahren so sehr die Freiheit liebten, dass sie Heim und Heimat aufgaben, um jenseits des Weltmeers Freiheit zu suchen. Die Vorfahren der Menschen, die uns zu töten obliegt, ermangelten des Muts, um ein solches Opfer zu bringen, und blieben daher Knechte.&147; (Zitiert nach Gorer 2000, 7)

Wir wollen es dahingestellt lassen, ob es allein die Freiheitsliebe war, welche die europäischen Emigranten über den Atlantik getrieben hat; es könnte sich vielfach auch um den vergleich der materiellen Not hier und des höheren Lebensstandards dort gehandelt haben, wie das bei manchen Immigranten heute noch der Fall sein soll; und nicht alle Äußerungen am Vorabend einer Schlacht sollte man mit großer Skrupulosität betrachten. Es ist jedoch deutlich, welches Selbstbild Amerikas in diesen Äußerungen zutage tritt: Amerika ist das Land der Freiheit, Europa das Land der Knechtschaft.

Das mag übertrieben sein: Jedenfalls finden wir in Europa eine andere Stimmungslage als in Amerika, mit Vorzügen und Nachteilen. Es waren bestimmte Bilder Europas, vor denen die Amerikapilger flüchteten, und jene Personen, die dageblieben sind, erhielten ihre besondere &132;europäische Mentalität&147; über die Jahrhunderte ausgeprägt.

* Erstens: Es war eine feudalistische Welt. Persönliche Abhängigkeiten, bis zur Bindung an die Scholle; Gebrochenheit der ländlichen Arbeiter; Wehrlosigkeit gegen die Oberen: die Fürsten, die Adeligen, die Spitzel, die Geistlichen, die Kapitalisten, die Beamten; sexuelle Übergriffe der Chefs.
* Zweitens: Es war eine obrigkeitliche Welt. Die Welt der Überheblichkeit einer herrschenden Klasse, bei der Herkunft statt Leistung zählt; Willkür anstelle von Berechenbarkeit; aristokratische Übergriffe, Furcht vor dem herrscherlichen Willen; wenn Aufklärung herrschte, dann war es ein aufgeklärter Autoritarismus; Zwangsbeglückung.
* Drittens: Es war eine klerikale Welt. Die Höllendrohungen stützten meist die weltliche Obrigkeit des Staates oder ergänzten sie durch eine zweite, geistliche Obrigkeit. Die Reformation stärkte die Position des Staates noch, die Gegenreformation war die Plattform für die staatliche Schnüffelei in alle Facetten des Privatlebens hinein: Staatskultur.

Für unser Problem &150; Individuum und Staat &150; gilt für die meisten europäischen Länder, dass es die ganze Neuzeit hindurch um das Ringen um den Ausgang aus der Unmündigkeit ging. Kleine Regungen 1848, niedergeschlagen. Illiberale Grundgefühle der Menschen auch noch beim Eintritt in das 20. Jahrhundert, autoritäre Systeme, dann das totalitäre System; und dann &150; glücklicherweise &150; eine wohlhabende wohlfahrtsstaatlich-paternalistische Ordnung, die freilich alles Mögliche gewährleistete &150; nur recht wenig Liberalismus. Die sozialdemokratische Weltanschauung knüpft nahtlos an den aufgeklärten Absolutismus an. Ausgeprägte liberale Gefühle haben nie Fahrt gewonnen, auch wenn jedes liberale Denken aus Europa stammt &150; es musste sich nur anderswo so recht entfalten.

Aber natürlich ist es ein markantes Kennzeichen Europas, dass es so unterschiedlich ist: europäische Diversität. Europa zeichnet sich durch Vielfalt und unterschiedliche kulturelle Prägungen aus, eine wirkliche europäische kulturelle Identität &150; im Sinne eines lebendigen Gemeinschaftsbewusstseins &150; gibt es wohl nicht. (Auch für Amerika gilt wohl, dass es unvorsichtig ist, alles in einen Topg zu werfen; zumindest die drei Amerikas wären zu unterscheiden: die Ostkünste, Midwest und die Westküste; und die ethnisch geprägten Milieus kommen hinzu). Das Trennende ist aber in Europa jedenfalls mindestens so stark wie die verbindende europäische Vorstellungswelt. England, das Geburtsland der modernen liberalen Demokratie, war immer ein bisschen anders, und es steht auch heute den Vereinigten Staaten am nächsten. Frankreich ist stärker als andere Länder von aufklärerisch-cartesianischem Geist durchdrungen; deshalb auch immer die Neigung zur Planung von Städten, Wirtschaftsprozessen, ganzen Welten. Russland ist vom tiefsten Feudalismus in den Kommunismus und weiter in den Mafia-Kapitalismus geschlittert, also kaum ein Lufthauch befreiten Denkens. Der italienische Staat, schon immer etwas anarchisch, bedürftig nach einer heroischen richterlichen Lästigkeit, die manche Staatschefs so wenig schätzen.

Und doch stehen dieser Zerklüftung Europas zwei vereinheitlichende Prinzipien gegenüber, der europäische Universalismus und die europäische Einheit.

Europäischer Universalismus. In geistiger (kultureller) Hinsicht gilt: Europa allein hat es zustande gebracht, das Universale zu denken; das Menschliche schlechthin ins Auge zu fassen; die Menschenrechte zu entwickeln; daraus abgeleitet: auch eine universale Ethik zu fordern (und selbst oft genug gegen diese Forderung zu verstoßen). Europa hat (seit Goethes Zeiten) die &132;Weltliteratur&147; bewundert, jenseits modischer Multikulturalismen. Wenn es so etwas wie &132;europäische Werte&147; gibt, so sind sie in der geistigen Kraft zu finden, eine &132;Menschheit&147; zu denken; das hat es in anderen Kulturen nicht in dieser Weise gegeben.

Europäische Einheit. Europa hat über die Jahrhunderte seiner Formwandlungen hindurch immer die Einheit Europas mitgedacht, indem es die Erinnerung an das Römische Reich bewahrt hat; die translatio imperii, das sacrum imperium, die Folie für das europäische Kaisertum &150; manifestiert nicht zuletzt in der lateinischen Sprache. Dabei hat immer der europäische Anspruch auf &132;Weltherrschaft&147; mitgeschwungen. Es war eher die abgegrenzte Nationalstaatlichkeit, ein Kind des 19. Jahrhunderts, das Produkt einer Ausnahmeperiode, die wir als Normalität von Staatlichkeit zu betrachten uns angewöhnt haben; und nun trachtet Europa zu seiner politischen Einheit zurück zu finden.

Als Stärke Europas mag man auch seinen Versuch werten, wirtschaftsordnungspolitisch nach &132;mittleren Lösungen&147; zu suchen: der europäische Mittelweg. Europa hat die beiden Komponenten seiner Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in jeweils reiner Form exportiert und an der Peripherie ausprobieren lassen, in seinen beiden Abkömmlingen: das planerisch-gestalterische Element in der Sowjetunion, das ungebärdig-dynamische Element in den USA. Das erstere Modell ist schiefgegangen, das letztere hat Europa für sich selbst modifiziert, gebändigt, domestiziert; als Mittelweg in den vagen Konturen einer &132;sozialen Marktwirtschaft&147;. Europa ist das Territorium, das Geborgenheit in seiner Geschichte findet; in dem ein weiser Staat ein Gemeinwesen zum Wohle seiner Bürgerinnen und Bürger gestaltet. Solange es gut geht, lässt sich der Europäer auch gängeln. Ganz anderen Geistes ist Amerika, das die Befreiung des Einzelnen verkörpert, die Aufkrempelung aller Ärmel, ein Anti-Gängelungsprogramm schlechthin.

4. Fallstudie Österreich: Die Obrigkeitsgesellschaft


Reformation &150; Gegenreformation: Diese Erfahrung hat in Österreich eine besonders antikapitalistische Grundstimmung gefördert, eine Stimmung des Misstrauens gegen Großkaufleute, Bankiers und Fabrikanten; im Unterschied zur geschätzten Welt des Bauerntums, des Handwerks und des Kleingewerbes. Grundsätzlich war damit auch eine unterentwickelte Leistungsgesinnung verbunden: geringe Selbstdisziplin, Zeitvergeudung, eine ausgeprägte Festkultur mit vielen freien Tagen, Toleranz für Verschwendung und Ausschweifung, gering ausgebildetes Ordnungsbewusstsein (vgl. Kuzmics/ Axtmann 2000)..

Ein wenig vom &132;Geist des Kapitalismus&147; verbreitete sich erst durch eine Art &132;Erziehungsdiktatur&147;, welche die ständische Ordnung schwächte und die Wirtschaftsgesellschaft freisetzte; welche ein Zeitbewusstsein schuf und eine Sozialdisziplinierung durchsetzte; welche im ländlichen Raum die Bedarfsdeckungswirtschaft durch Gewinnorientierung ersetzte. Aus dieser Konstellation entsteht die typische Mischung aus Protektionismus und Laissez-faire; der eudämonistische Wohlfahrtsstaat; der paternalistische Obsorgestaat. Joseph II. ist ein typischer Fall: kluge Regierungskunst, menschenfreundliche, modernisierende Reformen, aufgeklärtes Denken; und dies alles wurde despotisch und eigensinnig von oben durchgesetzt, mit übertriebener Überwachungs- und Regelungswut.

Mit diesen geschichtlichen Prägungen ausgestattet, kann Österreich kein besonders &132;liberales&147; Land sein: Ein &132;befreiender&147;, &132;bewusster&147; Liberalismus konnte sich im 19. Jahrhundert und bis heute nicht entfalten. Kennzeichen sind vielmehr die folgenden.

* Erstens: Grundlegend ist der leistungsfähige Staat allzuständig: in dubio pro re publica. Hier wurde durchwegs die Gesellschaft insgesamt als eine solche des öffentlichen Rechts betrachtet, im Gegensatz zu einer liberalen &132;Privatrechtsgesellschaft&147;, die nach Möglichkeit Konflikte durch privatrechtliche Mittel zu befrieden trachtet.
* Zweitens: Politik ist ein besonderes Spiel, ein Spiel, das nicht jenes der Bürger ist. Untertanen sind Politikzuseher. Gütige politische Mächte, weit oben anzusiedeln, deren Ratschluss am Ende unerforschlich bleibt. Man erfährt beizeiten, was &132;die da oben&147; beschlossen haben; man raunzt; und man gehorcht.
* Drittens: Statt eines aktiven Liberalismus gedeiht in diesem Klima eher ein passiver Indifferentismus, statt Engagement die Wurschtigkeit. Dazu kommen eine sozialstaatliche Rundumabsicherungsmentalität, die keine zaghaften Schritte zu einer zukunftswirksamen Redimensionierung des Wohlfahrtsstaates zulassen will, und ein persönlicher Opportunismus, der sich aus einer verkorksten Situation herausholt, was herauszuholen ist.

II. Die Gegensätze der zwei Kulturen


In der Folge betrachten wir eine Reihe von Gegenüberstellungen, mit stärkerer Betonung des Fremden, des Amerikanischen.12 Denn es handelt sich in der Tat um zwei unterschiedliche Welten. William Pfaff betont dies: &132;Europäisches Denken und amerikanisches Denken sind zweierlei. Europäische Annahmen, Vorstellungen und Ambitionen unterscheiden sich von amerikanischen. Europäische Glaubensansichten über die Erziehung und Verantwortung von Eliten, über Klassen, Rassen und deren Beziehungen, über die Mängel der Demokratie wie auch über ihre Vorzüge, über Alternativen zur Demokratie (für Amerikaner unvorstellbar), das Wesen des Heldentums, des Siegens, des Erduldens, des Stolzes, der Kaste, der Unverletzlichkeit: sie alle sind im Grunde völlig unamerikanisch.&147; (Pfaff 1989, 41)
1. Der Staat und die anarchistischen Neigungen


Amerika ist staatsfeindlich, Europa ist etatistisch. Die Auswanderer und Flüchtlinge haben einen negativen Affekt gegen Regierung, Staat und Autorität geprägt. Autoaufkleber verkünden: &132;Don&145;t steal! The government hates competition.&147;13

Die Antistaatlichkeit der Amerikaner führt dazu, dass es in den Vereinigten Staaten keinen eigentlichen Staatsbegriff gibt. Die üblichen Übersetzungsprobleme sind aufschlussreich: Kein Amerikaner würde so wie die Europäer vom Staat oder seinen Staatsausgaben reden; nur von government expenditures. Aber &132;government&147; ist ganz etwas anderes: das sind einige Leute, die man eine Zeitlang mit dem Job versehen hat, ein paar gemeinsame Angelegenheiten zu erledigen &150; those guys in Washington, denen man ohnehin &150; mit gebotenem Misstrauen &150; immer auf die Finger sehen muss. &132;Die typische amerikanische Einstellung zur Autorität ist im großen und ganzen noch immer die gleiche wie die, die die Urheber der amerikanischen Verfassung beseelte: Autorität ist von Natur böse und gefährlich; der Fortbestand und das Gedeihen des Staates machten es unumgänglich, dass einer gewissen Anzahl von Individuen Autorität übertragen wird; aber diese Autorität muß so genau umschrieben und begrenzt werden, wie es sich durch scharfsinnigste rechtliche Formulierung nur erdenken lässt; und die Inhaber dieser Positionen müssen unter ständiger Beobachtung gehalten, als mögliche Feinde betrachtet und entsprechend überwacht werden.&147; (Gorer 2000, 13)

Der europäische &132;Staat&147; ist etwas ganz anderes; er unterscheidet sich von der Regierung, die man mögen kann oder nicht &150; den Staat zu mögen ist man als Staatsbürger verpflichtet. Beim Staat schwebt immer Hegel im Hintergrund: der Staat als Verkörperung von Sittlichkeit und Vernunft, als ein Überwesen, ein Übermensch; eine höhere Entität; die eigentliche Verkörperung des Volkes. Minister mögen Dummköpfe sein, der Staat ist Weisheit. Das ist den Amerikanern völlig fremd &150; da ist nichts neben den Dummköpfen.

Amerikaner haben Werte &150; oder bestenfalls: wertverkörpernde Institutionen &150; anstelle des Staates. Der amerikanische Staat ist eine horizontale Angelegenheit, eine Sache zwischen den Menschen und ihren freiwilligen Assoziierungen. Der europäische Staat ist eine vertikale Angelegenheit, eine Hierarchie im Rahmen einer abstrakten Entität. Beim europäischen Modell schwebt immer die Idee eines Gemeinwillens im Raum, nicht unbedingt in einer radikalen rousseauistischen Variante, aber als Ausdruck des als Einheit gedachten Willens. Im amerikanischen Modell gibt es diese Einheit nicht, nur jenen Kompromiss, der aus den Verhandlungen von Individuen und Gruppen resultiert. Europa denkt einen Gesellschaftsvertrag, Amerika einen Gesellschaftsvertrag. Europa hält etwas von &132;sozialer Verantwortung&147;, Amerika baut auf individuelle Barmherzigkeit (im Sinne eines &132;compassionate conservatism&147. Europa glaubt, dass &132;öffentliche Institutionen&147; eine andere Aufgabe haben als Privatunternehmen, Amerika tendiert dazu, sie alle gleich zu behandeln.

Die religiösen Gruppierungen, aus denen der amerikanische Staat erwuchs, haben sich selbst als ausreichende Ordnungsstruktur gesehen, und im Grunde hatten sie nicht das Gefühl, einen Staat überhaupt zu brauchen. Denn die puritanischen Gruppierungen kamen (im 17. Jahrhundert) aus einer Situation heraus, in welcher der Staat soeben den Machtkampf zwischen Kirche und Staat gewonnen hatte &150; sie kamen aus der Westfälischen Situation. Sie kamen aus einer Konstellation, in welcher die Trennung von Kirche und Staat den Sinn hatte, den europäischen Staat gleichsam gegen die Religion zu schützen: einen (säkularen) Freiraum für den Staat zu erkämpfen, indem die Religion an die Peripherie verbannt wurde. In den USA war dies grundlegend anders; da zielte die Trennung von Staat und Kirche darauf, die Kirche gegen den Staat zu schützen; und damit auch jene gesellschaftlichen Aufgaben und Aktivitäten, die von den selbstbewussten religiösen Gemeinschaften geordnet wurden, vom Staatseinfluss freizuhalten. In Europa hieß Trennung: Minimierung des Kircheneinflusses. In Amerika hieß Trennung: Minimierung des Staatseinflusses.

Da die Amerikaner gegen jede Obrigkeit sind, neigen sie eher zum Anarchismus. Europäische Staaten tendieren bekanntlich zu einem Staatsanteil, der zur Hälfte des Sozialprodukts tendiert, die USA sind bei einem Drittel (vgl. aber Felderer et. al. 2002, Rauner 2002). Selbst &132;liberale&147;, das heißt in der amerikanischen Terminologie: sozialdemokratische Programme stehen für europäische Begriffe ziemlich weit rechts. Es hat in den USA interessanterweise unter allen grassierenden Ideologien (unter denen es ja auch stupide Populismen gegeben hat) nie einen etatistischen Extremismus gegeben, anders als in Europa, wohl aber anarchistische Extremismen. Die Anarchisten treten in unterschiedlicher Verkleidung auf.

* Die wilde Version besteht darin, dass sich immer wieder einmal einige Figuren auf einer abgelegenen Farm zusammenrotten, ihren eigenen Staat ausrufen und dann vom FBI beschossen werden.
* Die abstrakte Version findet sich im Bereich der Wirtschaftstheorie &150; die libertäre Strömung konnte sich nur in den USA entwickeln: Für die jungen wilden Theoretiker, die sich fälschlich in der Nachfolge Friedrich von Hayeks sehen, ist der Staat nichts anderes als eine &132;Gang&147;, vergleichbar der Mafia. Besteuerung ist Diebstahl, die Zentralbank eine Fälschungsinstitution, Wehrpflicht ist Kidnapping (vgl. Block 2003).14 Der Libertarianismus, eine Art von Vulgärliberalismus, kennt nichts anderes als den Markt und hält ihn für das Ganze der Gesellschaft. Diese Lehre konnte nur in den USA zu einer gewichtigen Strömung werden.
* Die antistaatlichen oder anarchistischen Neigungen der amerikanischen Bürger politisch zu bedienen, ist selbst dann sinnvoll, wenn die praktische Politik ganz anders aussieht. Das hat schon Ronald Reagan gewusst, der handfeste keynesianische Wirtschaftspolitik betrieben hat; das weiß auch George Bush, der die USA in eine ungeahnte Staatsverschuldung hineintreibt. Auch die globale Freihandelslehre hat in der praktischen Politik engere Grenzen als in der Rhetorik: Sie spielt vor allem für die amerikanischen Exporte eine große Rolle, wogegen landwirtschaftliche Importe nach wie vor behindert werden (und einheimische Produkte in einem Maße staatlich subventioniert werden, dass die mühsame Produktion der Dritte-Welt-Länder vernichtet wird).15 Amerika ist in seiner öffentlichen Rhetorik immer noch ein Stück liberaler als in seiner Wirklichkeit.

Tendenzen also zum anarchischen eher als zum etatistischen Pol: Man will bis heute keinen fürsorglich starken Staat, sondern die Sache lieber selbst in die Hand nehmen.16
2. Die moralisierende Nation



Europa neigt dazu, den Einzelnen zu entlasten und zuweilen in übertriebener Weise gesellschaftliche Verantwortung einzumahnen: Der Verbrecher wird rasch zum Opfer der Umstände, zum passiven Ventil gesellschaftlicher Missstände. In den USA ist die Wahrnehmung anders: Soziale Probleme sind in erster Linie Sache der individuellen Moral. Kriminalität ist eine Sache des Charakters (und deshalb ist keine weitergehende Ursachenanalyse für kriminelles Verhalten vonnöten, nicht einmal unter amerikanischen Umständen.) Schlechte Wirtschaftslage? Ursache Immoralität &150; man hat wohl zu wenig hart zugepackt. Drogen? Die Ursache ist wohl im schwachen Charakter der Konsumenten zu suchen. Arbeitslosigkeit? Offenbar handelt es sich um faule Personen, denn irgendeinen Job findet man immer.17

Auf individueller wie auf kollektiver Ebene gilt die Unterscheidung von Gut und Böse; sie wird in amerikanischen Kinofilmen immer und immer wieder dargestellt. Das Gute ist religiös begründet, darauf baut das Land auf. Die Existenz des Guten bedingt die Existenz des Bösen. Das Böse ist zu bekämpfen, allenfalls zu vernichten, eine Wahrnehmung, wie sie einem sektiererischen Denken geziemt: Wenn es um die Existenz des Guten schlechthin geht, müssen auch andere Werte zurücktreten, etwa die Menschenrechte von Gefangenen.

Übrigens stammt die Metapher vom &132;Reich des Bösen&147; aus der Apokalypse des Johannes; hier, am Ende der Bibel, ist die Rede von der Entscheidungsschlacht zwischen Gott und Satan, in der Endzeit, in der Zeit von Armageddon; Ronald Reagan hat sogar den Begriff Armageddon in den Mund genommen). Die heilsgeschichtliche Interpretation ist so stark, dass wir in den politischen Reden auch keinen zeit- und sozialgeschichtlichen Kontext des Terrorismus finden, sondern ausschließlich die Beschreibung der Terroristen als Bestien; man könnte auch sagen: in Spiegelung der fundamentalistischen Haltungen der Gegenseite.

Damit soll nicht behauptet werden, dass die Amerikaner nicht sehr realistisch und nüchtern in ihrer Politik sein können &150; auch im Sinne der Schule des &132;außenpolitischen Realismus&147;. Aber offenbare Rücksichtslosigkeit wäre eher Sache Europas, etwa des alten britischen Reiches, das in seiner Kolonialzeit an Kaltschnäuzigkeit verschiedentlich nichts zu wünschen übrig ließ. Bei den Amerikanern wird aber selbst die Rücksichtslosigkeit moralisch sorgsam verpackt: &132;In einer puritanischen Demokratie wird die Rücksichtslosigkeit gewöhnlich in Sentimentalität und Phrasenhaftigkeit gehüllt&147;, vermerkt William Pfaff (1989, 62). Zwei Einschränkungen sind aber angebracht.

Erstens, die Moralisierung geht mit Heuchelei einher, wie immer in solchen Fällen. Bill Clinton brachte es nicht zu einem normalen Seitensprung (da sind die jederzeit abrufbaren Schuldgefühle typisch und hemmend), er brachte es nur zu einer missbräuchlichen Verwendung von Zigarren. Aber er hat in der Folge getan, was nach amerikanischem Muster zu tun war: Er hat bereut; eingestanden, ein Sünder zu sein; zu Gott gebetet, ihm zur Besserung zu verhelfen. Das ist es, was Amerikaner erwarten: Reue, Besserung, die Herstellung von Konformität; dann dürfen auch alle verlorenen Söhne heimkehren. Europäische Politiker hätten mit einem Seitensprung weniger Probleme gehabt; die Sache wäre im Normalfall (und im Einverständnis mit den Journalisten) ohnehin nicht publik geworden; wenn es jedoch zu einer Skandalisierung gekommen wäre, hätte es keinen Weg zurück gegeben: Öffentliches Bereuen würde als sinnlos und kitschig empfunden..

Zweitens, der hohe Grad an Moralisierung geht einher mit einer Auffassung von der Motivationslage von Politikern, die in Europa oft auf Erstaunen stößt. Politiker sind &150; auf Grund des Misstrauens der Amerikaner gegen überhöhte Staatlichkeits- und Politikvorstellungen &150; geradezu verdächtig, wenn sie sich um das Gemeinwohl bemühen sollten. &132;Politiker&147;, so vermerkt Geoffrey Gorer, &132;sind nicht verdächtig, wenn man von ihnen annimmt, dass sie nur zur Erlangung persönlicher Vorteile in die Politik gegangen sind, sei es, um Geld zu verdienen, sei es, um ihre Stellung zu verbessern. Dies wird als normal und begreiflich angesehen, als ein Erwerbszweig an der Peripherie des Gesetzlichen [...] Ein Mensch, der die politische Laufbahn aus andern Gründen einschlägt als um des unmittelbaren persönlichen Vorteils willen, ist tief verdächtig; insgeheim ist er womöglich autoritätslüstern, und höchste Wachsamkeit ist ihm gegenüber geboten, damit er seiner sündigen Gier nicht frönen kann.&147; (Gorer 2000, 15). Bei dieser Bewertung wird die europäische Einschätzung beinahe auf den Kopf gestellt: Dass Menschen Macht anstreben, wird viel eher akzeptiert, als dass sie in der Politik Geld verdienen wollen. Dazu kommt die Neigung der Amerikaner, jene Aspekte der Wirklichkeit, die in einem besonders starken Widerspruch zum moralischen Selbstbild stehen, einfach zu übersehen.

Der Anspruch auf die Idealisierung und Vervollkommnung des Einzelnen wird auf die Gesellschaft übertragen. Sie müsste sich in amerikanischer Sicht zum perfekten Kollektiv formen, eine Vorstellung, die für die europäischen Beobachter oft ins Kitschige gerät. Die Perfektibilität der Menschen und die Perfektibilität der Gesellschaft stellen eine Erbschaft der revolutionären Ursprungsideologie und des religiösen Sektarianismus dar. Auch hierbei ist es nicht notwendig, sich mit dem Staat als solchem zu beschäftigen: Das Kollektive erwächst einfach aus dem Individuellen.

Die Europäer hingegen finden wir am anderen Pol: Die Unterstellung, dass ihre Gesellschaft sich der Vollkommenheit nähere, würden sie bestenfalls ironisch kommentieren &150; und dies gar als ernstzunehmendes Ziel anzusehen, würden sie als Blasphemie ansehen (auch wenn sie sonst keinerlei Blasphemien mehr kennen). Die Europäer haben mehr als genug Gründe, warum ihre Gesellschaft &132;katastrophal&147; beschaffen ist, und sie produzieren mehr als genug Theorien, um ihren baldigen wirtschaftlichen Untergang vorauszusagen: die alten Stagnationstheorien (Sättigung durch Massenproduktion), die Finanzkrisentheorien (Staatsausgabenexplosion und Legitimationsdefizit), die Rationalisierungstheorien (Gesellschaft ohne Arbeit), die Unterkonsumtionstheorien (Nachfragedefizite), die Nullwachstumstheorien (mit der Folge politischer Stabilisierung), die Öko-Katastrophentheorien (umweltbedingte Zusammenbrüche), die Globalisierungstheorien und andere. Grundtenor: Es wird schon schief gehen. Die überwiegende Anzahl der Amerikaner kann das nicht verstehen: Sie meinen, das Wirtschaftssystem habe bislang eine großartige Stabilität und Anpassungsfähigkeit bewiesen, und es wird schon weiter gut gehen, Schritt um Schritt bis zur vollständigen Perfektion. Es handelt sich gleichsam um ein Spiegelbild des Marxismus: Während für diesen jede gesellschaftliche Veränderung das unabänderliche Signal dafür dargestellt hat, dass der Spätkapitalismus in die Phase seines Zusammenbruchs eintrete, wird in den USA jede Veränderung als Signal dafür gedeutet, dass die Perfektion nahe ist.

Nun ist natürlich Amerika keineswegs perfekt. Aber gerade aus der Anspruchshaltung heraus gibt es in den USA immer wieder eine bemerkenswert scharfe Kritik an den eigenen Einrichtungen &150; eine stete Suche nach Erklärungen dafür, warum die Vollkommenheit nicht zustande kommt. Da gesellschaftliche Gründe dem Denken fremd sind, neigt man dazu, jeweils Bösewichter ausfindig zu machen, selbst in der eigenen Regierung.

* Die Fernsehserien sind reichlich vertreten, in denen schwachsinnige, korrupte und perfide Senatoren auftreten; dubiose CIA-Chefs mit fragwürdigen Projekten, wie in den X-Files; umweltvernichtende, profitwütige Konzernchefs.. Bestseller-Autoren &150; wie John Grisham &150; sind aufschlussreich für eine Entschlüsselung der Haltung zum Staat. Präsidenten freilich sind im Allgemeinen auf der guten Seite, und sie sind häufig &132;Helden&147; &150; auch wenn sie nicht allzu stark sein dürfen. (Denn starke Präsidenten werden für gefährlich gehalten, schwache bringen die Gefahr des Anarchismus mit sich; also geht es um die richtige Dosierung oder auch Abwechslung starker und schwacher Typen (Laski 1940)).
* Die Moralisierung verhindert nicht Enron. Aber es liegt den Amerikanern, solche Probleme mit Ethik-Kodizes und anderen moralischen Propagandamaßnahmen beseitigen zu wollen. Unternehmensethik blüht immer besonders dann, wenn sich die Gauner ins Fäustchen lachen (Prisching 2003a). Die Moralisierung geht in den USA oft mit einer gewissen Naivität einher, da ist Europa anders: Hier weiß die herrschende Klasse, dass Ethikkodizes nichts helfen, schon gar nicht auf der Börse, aber sie werden mit Begeisterung aus den USA übernommen, weil sie einen Zeitaufschub verschaffen und die Politikzuseher ablenken.

Da die amerikanischen Narrative über die Defizite der Institutionen meistens mit dem Sieg der gerechten Sache enden, gibt es keinen Grund dafür, trotz aller Unzulänglichkeiten das Land nicht doch mit Inbrunst für das beste der Welt zu halten und mit ihm versöhnt zu sein. Sünden &150; auch wirtschaftliche Sünden &150; gibt es, aber man überwindet sie. In Europa gibt es keine Sünden, weil man immer Gründe findet, warum man nicht schuld ist, und deshalb braucht man auch keine Anstrengungen zu unternehmen, die Sünden überwinden. Das Augenzwinkern ist Sache der Europäer; die ironieresistenten Amerikaner können nicht Augenzwinkern.
3. Das missionarische Selbstbewusstsein


Das Bewusstsein der Vereinigten Staaten, das Richtige zu tun, verbindet sich mit Missionarismus und Selbstgerechtigkeit. Denn Amerika weiß, dass es recht hat. Wer kritisiert, der schließt sich tendenziell aus der community aus. Kritik ist Loyalitätsverweigerung, das stimmt für alle schlichten Geister. Für die Amerikaner besteht aber jedenfalls kein Zweifel, dass es das grundlegende Bestreben aller Menschen auf Erden sein müsse, Amerika ähnlich zu werden.

Wir leben im Empire. Europa wird ob seiner Kultur bewundert, im Grunde aber als sonderbares Gemenge verrückter und unzuverlässiger Völkerschaften betrachtet, die einander alle paar Jahrzehnte zu massakrieren trachten &150; eine Betrachtungsweise, die wohl nicht so falsch ist. Deshalb fühlen sich die Amerikaner als einzige globale Ordnungsmacht, die sich um Gerechtigkeit und Menschenwürde bemüht (Adams 1902; Gilpin 2000; Matzner 2000; Mearsheimer 2001; Tomuschat 2003; im Gegensatz Kupchan 2002). So betrachten sie es keineswegs als Hybris einer gehorsamheischenden imperialen Macht gegenüber ihren Vasallen, sich über transnationale Einrichtungen wie die UNO hinwegzusetzen und der Weltwirtschaft die Spielregeln vorgeben zu wollen (Huntington 1997; Bender 2000), von den oft destruktiven wirtschaftspolitischen Vorschriften für sich entwickelnde Länder bis hin zu den Bilanzierungsmodalitäten von Unternehmen. Aber es handelt sich &150; und dies ist in diesem Zusammenhang von Belang &150; eben nicht nur um Hybris oder Arroganz (Fulbright 1967); es liegt der tiefsitzende Glaube zugrunde, dass Amerika ohnehin für die beste aller denkbaren Welten sorgt.18 Und tatsächlich ist es &150; im historischen Vergleich &150; wahrscheinlich das beste Imperium der Weltgeschichte.

Die USA stellen aber zugleich ein vormodernes Imperium dar. Denn man kann die staatspolitische Entwicklung der letzten Jahrhunderte als eine Entwicklung sehen, die von der Macht zum Recht geführt hat. Nach den Religionskriegen wurde das Völkerrecht zu einer politischen Denkkategorie, trotz aller Rückfälle. Und die Errichtung der Europäischen Union ist eine staatsphilosophische Sensation: Erstmals (nicht als Ergebnis eines Krieges, sondern durch Freiwilligkeit) findet ein Souveränitätsverzicht von Staaten statt, die sich unter ein gemeinsames Recht (und unter entsprechende Institutionen) einordnen: ein Verrechtlichungsprozess im transnationalen Bereich. Das steht im Gegensatz zum Entrechtlichungsprozess, in dem sich die USA befinden: Sie streifen die Bindungen ab, zunächst jene des Völkerrechts, dann jene der UNO, schließlich jene der NATO; am Ende auch die Konventionen des internationalen Umgangs unter befreundeten Staaten. Es gilt die Macht, das Recht des Stärkeren, natürlich mit den besten Absichten; der rechtliche Disziplinierungsprozess mag für die Vasallen dienlich sein.

Wieder aber ist einzuschränken: Es steht für Amerika nicht nur das nüchterne Kalkül des Stärkeren im Hintergrund (also die Vision, die amerikanische Superiorität global auch noch für die zweite Jahrhunderthälfte zu sichern), sondern eben die Verbindung von Recht, Macht und Moral.19 Die europäische Vorstellung hat Recht und Moral seit der Aufklärung zunehmend getrennt: Der Verbrecher wird verurteilt, weil er Rechtsbrüche begangen hat, nicht weil er moralisch verwerflich ist; in den USA wird ihm sehr wohl mangelnde Moral vorgeworfen, denn er stellt sich außerhalb der Gemeinschaft, daraus lassen sich Rachegedanken und Todesstrafe erklären. Das lässt sich auf die internationale Ebene transponieren. Wenn Staaten in Konflikt geraten, dann wird dies im europäischen Verständnis als Interessenkonflikt gesehen, nicht als Konflikt von Gut und Böse. Die Amerikaner fühlen sich zur Terminologie des Religiösen hingezogen, bis zum &132;Kreuzzug&147;, zu dem man sich verpflichtet fühlt.

Das Verhalten irritiert Europa: Einmal paktieren die Amerikaner mit den übelsten Diktatoren, dann wieder stürzen sie sich mit emotionell-patriotischem Getöse in einen überhasteten Krieg. Amerika scheint unberechenbar, manchmal naiv, manchmal besonders hinterlistig und kaltschnäuzig. Der Umstand, dass schlechte Umfrageergebnisse über die Popularität des Präsidenten geeignet sind, Bombardierungen da und dort auszulösen, vermittelt den Europäern Unbehagen (Bergsten 1999). Ein Missionar im Cowboy-Gewand ist eine prekäre Mischung.20
4. Das Land ohne Grenzen


Mobilität entschärft Klassenkonflikte. Die USA haben immer hohe Mobilitätsraten aufgewiesen &150; schon am Beginn, gleichsam notwendig durch die Besiedelung des Landes; dann durch den steten Zuzug von Immigranten; schließlich durch die Eroberung des Westens.

* Geographische Mobilität war ein wichtiges Ventil: Wer unzufrieden war, konnte weiterziehen. Wer im Osten scheiterte, zog nach Westen. Wer noch kein fruchtbares Tal gefunden hat, der würde es ein Stück weiter finden können. Zugleich bedeutete diese geographische Mobilität, dass sich stabile lokale Gemeinschaften nicht bilden konnten, nur ad hoc-Hilfsgemeinschaften. Die Oberflächlichkeit der Beziehungen wiederum ließ Klassenbewusstsein nicht entstehen.
* Die geographische Mobilität war wesentliches Element der sozialen Mobilität: eine Nation ohne vererbliches Proletariat; keine dahinvegetierende ländliche Bevölkerung. Die Aufstiegschancen waren immer intakt, auch wenn sie nur für wenige nach ganz oben möglich waren; aber die dauernde Einwanderung sorgte für den Nachschub auf den unteren Etagen.

Der Wildwestfilm ist lehrreich: Er ist Bündelung von Sehnsüchten, Verkörperung historischer Erfahrungen und Prägungen. Er verkörpert Freiheit, Autonomie, Durchsetzungsfähigkeit, Mobilität. Die Eroberung des Westens ist eine Metapher für den modernen Kapitalismus überhaupt: Alles ist möglich. Jeder hat die Chance. Jeder kann auf die Goldader stoßen. Weiterziehen. Keine Grenzen. Nicht stecken bleiben.

Die europäische Mobilität war demgegenüber allerweil beschränkt. Ein kleines Stück weiter, dann stieß man auf Grenzen, musste als Fremder mit willkürlicher Behandlung rechnen.21 Nirgendwo gab es das Versprechen unbegrenzter Chancen. Der europäische Imperialismus des 19. Jahrhunderts zielte darauf, auf anderen Kontinenten jene Kolonisation zu ermöglichen, die den Amerikanern auf dem eigenen Kontinent geschenkt war. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges räsonnierten die Nationen über den Wettlauf um Raum und Ressourcen, in dem es sich zu behaupten gälte. Kein Platz, viele Menschen, Verdichtung, Hunger &150; das waren die Ängste. Die USA hatten von vornherein viel Platz, wenig Menschen, eine geringe Dichte, reiche Ressourcen. Auch da kommen Hierarchie und Obrigkeit wieder ins Spiel: Jeder Obrigkeit konnte man jederzeit davonlaufen, hinaus in den weiten Westen. Und Recht und Gesetz wurden in dieser Weite nicht so sehr durch staatliche Macht gesichert als durch Freiwilligkeit der Bürger: indem der Sheriff ein Aufgebot von Freiwilligen zusammenstellte, gleichsam eine &132;Koalition der Willigen&147;. Alte Bilder bleiben in den Köpfen gegenwärtig.

Mobilität birgt das Versprechen der Egalität. Die amerikanische Mobilität machte es leicht, den Anspruch der Egalität im Lande aufrechtzuerhalten. Die Vereinigten Staaten weisen ein starkes egalitäres Bewusstsein auf (&132;frontier democracy&147 &150; ein sonderbarer Kontrast zur vergleichsweise ausgeprägten tatsächlichen Ungleichheit. Aber die Anfangsgleichheit &150; die behauptete Chancengleichheit &150; geht mit der Akzeptanz einer hohen Ergebnisungleichheit einher. Gleichheit in Amerika heißt: Geh nach Westen, schau, was du zustande bringst! Gleichheit in Europa heißt: wegnehmen und umverteilen. Egalität ist in den USA eine individuelle Sache, in Europa eine Sache der staatlichen Sicherung.

Das egalitäre Bewusstsein in Amerika wird durch eine intensive Propaganda verstärkt. Ihr zufolge gehören alle Amerikaner der middle class an. Während die herrschenden Klassen in Europa offen ihre Verachtung über die arbeitende Klasse kundtaten, herrschte in den USA seit jeher Zurückhaltung &150; wobei jeweils die Schwarzen ausgenommen waren. Natürlich gibt es die noblen, alteingesessenen Familien in Boston und die Honoratioren in den Kleinstädten des mittleren Westens; aber diese Schichten waren nie so geschlossen wie in Europa. Die egalitären Elemente des amerikanischen Bewusstseins sind sogar als Surrogatsozialismus oder als sozialistisches Substitut (Moore 1970) bezeichnet worden. (1848 wurden die flüchtigen Genossen von Marx in den Vereinigten Staaten problemlos integriert; sie hatten keine revolutionären Absichten mehr, und einige engagierten sich sogar in der Politik).22 Es gibt einige Gründe, warum sich in den USA niemals eine sozialdemokratische Bewegung mit ihrem Etatismus entwickeln konnte; ein grund ist auch die frühe Demokratisierung. Denn es gab schon Wahlen, bevor sich die Parteien organisieren konnten; in Europa war das vorenthaltene Wahlrecht einer der Brennpunkte, um den herum sich die Anhängerschaft linker Parteien formiert hat. In Amerika war man somit (erstens) von Anfang an im Rahmen einer demokratischen Ordnung an der Politik beteiligt, hatte (zweitens) bald auch Geld und einen befriedigenden Lebensstandard und konnte (drittens) lokalen Unzukömmlichkeiten allemal in die Ferne (des Westens) ausweichen &150; man hatte den &132;Amerikanismus&147;, und da brauchte man keinen Sozialismus.

5. Meritokratischer Individualismus


Meritokratischer Individualismus heißt: Für jeden gibt es einen Platz, wenn er bereit ist, hart zu arbeiten. Jeder ist seines Glückes Schmied; es braucht starke Hände und den Willen zur Selbstaufopferung. Wer seinen Platz verliert, ist selbst schuld. Wer gewinnt, der gewinnt mit Recht.23 Unter &132;sozialer Gerechtigkeit&147; kann man sich in den USA nicht viel vorstellen. Die Amerikaner sind Einzelkämpfer. Zur Verfestigung dieser Auffassung trägt die Erziehung wesentlich bei: &132;Bei den meisten Amerikanern haben sich bis zur Reifezeit zwei Gedanken unentwirrbar verquickt; erfolgreich sein heißt geliebt werden; geliebt werden heißt erfolgreich sein.&147; (Gorer 2000, 69) Erfolg, Liebe, Gnade &150; es fließt alles zusammen. Wenn das Leben härter wird, führt dies nicht zum Protest, da die Menschen davon überzeugt sind, dass sie in erster Linie die Schuld bei sich selbst zu suchen haben. &132;Die Vorliebe für das &130;freie Unternehmertum&146; (private enterprise) ist keine auf Verstandesgründen beruhende Überzeugung von der Überlegenheit einer Produktions- oder Güterverteilungs-Methode über die andere; sie ist nicht unbedingt ein Wandschirm, hinter dem persönliche Interessen und Profitaussichten verteidigt werden; sie ist eine tief ehrliche, quasi religiöse, moralische Einstellung, die Verstandesgründen ebensowenig zugänglich ist wie der Widerwille der Hindus gegen die Tötung von Rindern.&147; (Gorer 2000, 17)

Amerika hat nicht nur eine ordentliche Beschäftigungsentwicklung, es hatte in den neunziger Jahren ein &132;Beschäftigungswunder&147; zu verzeichnen. Das heißt: wer arbeiten will, kann arbeiten. Das heißt auch: Jeder muss arbeiten. (Die Beschäftigungsrate ist um 10 Prozent höher als in Europa). Und es heißt: Jeder muss ziemlich viel arbeiten. (Die Jahresarbeitszeit liegt deutlich über der europäischen). Löhne und Gehälter sind in den letzten 25 Jahren hinter den Gewinneinkommen und den obersten Einkommensetagen zurückgeblieben. (Die Einkommensverteilung ist deutlich ungleicher als in Europa). Die Risiken sind in den USA höher. (Als Indikator der Risiken mag man nehmen: Armut, Zahl der Menschen ohne Gesundheitsversicherung, Zahl der Menschen in Gefängnissen, Kriminalität, Todesstrafen, Sicherheitsaufwendungen, öffentliche Infrastruktur; Energie- und Ressourcenverbrauch, Umweltverschmutzung und dergleichen).

Ein Fernsehbericht über Beschäftigung in Amerika, vor einigen Jahren erstaunlicherweise im österreichischen Fernsehen: Ein Feuerwehrmann aus Boston berichtet, er habe drei Jobs. Neben seinem Hauptberuf als Feuerwehrmann fahre er in der Nachbargemeinde einen Schulbus, und bei Nacht arbeite er auch noch als Wächter bei einem Unternehmen. Das sei sicherlich anstrengend, meint er, aber: &132;I am a lucky man.&147; So viele seien arbeitslos, und er habe gleich drei Jobs. Seine Frau beteuert, sie sehe ihn selten, aber sie wisse, dass er das tun müsse, um das Haus halten zu können. &132;I am a lucky man&147; &150; das hätte in diesem Fall vermutlich ein Österreicher oder ein Deutscher nicht gesagt. Er hätte sich eher beschwert, dass er sich abrackern müsse bis zum Umfallen, und immer noch lohne sich die ganze Sache nicht.

Es sind jene Anekdoten, die Amerika (aus der Sicht einer wachstums- und effizienzorientierten Denkweise) beinahe als nach wie vor gelobtes Land erscheinen lassen. Aber die vergleichenden Wirtschaftsindikatoren (Europa mit seinem guten Wachstum, seiner anhaltend hohen Produktivität, seiner guten Leistungsbilanz, seiner niedrigen Inflation) können auch als Standortvorteile Europas gedeutet werden, selbst im Vergleich mit den USA. Ein paar Spitzenleistungen aus dem High-Tech-Bereich machen noch nicht das Wesen einer gesunden Wirtschaft aus. Gleichwohl gibt es immer auch ein Erstaunen über die Leistungsfähigkeit Europas, das doch mittlerweile den Unernst zum Lebensstil gemacht hat: nicht mehr das Erlebnis des Lebens, sondern nur noch das Erleben des Erlebnisses &150; das grundlose Sich-selbst-Verbrauchen, wie es Peter Sloterdijk sagt.24 Europa scheint vielfach den Durchbruch zum allseits grassierenden Hedonismus geschafft zu haben &150; und insofern viel postmoderner als die USA zu sein.

Trotz schlechter Produktivitätsziffern hält sich der Mythos hartnäckig, dass in den Vereinigten Staaten Effizienz groß geschrieben wird. In Wahrheit ist der Dienstleistungsbereich mit Billigjobs übersät, und deren Inhaber sind mit Recht mürrisch. Sie legen keinen Wert auf den betreffenden Job; fliegen sie hinaus, finden sie an der nächsten Straßenecke einen gleich miesen Job, gerade bei ausreichender Beschäftigungslage. Sie können in diesem oder im nächsten Job nichts werden, warum sollten sie sich also bemühen? Man kann dies an den Kassen der Kaufhäuser beobachten, in den Cafes und Restaurants. Billige Arbeitskräfte sind nicht produktiv, und sie müssen nicht produktiv sein. Verkäufer, Handwerker, Friseure &150; alles eine Glückssache. Wenn im Haushalt etwas nicht in Ordnung ist, tauchen immer dieselben Universalisten auf: als Installateure, Maler, Bodenleger, Schlosser, Fensterreparateure &150; mit einer Arbeitsqualität, wie sie in Europa nur Hohn auslösen würde.

Amerika ist das Land mit einem primitiven Dienstleistungswesen. Der Kunde mag ja König sein; aber die Amerikaner haben mit Königen nach wie vor nichts im Sinn. Amerika hat ein schlecht funktionierendes Bank- und Postwesen; es gibt Umständlichkeiten der Handhabung von Bankgeschäften wie sonst nur in Italien, veraltete Geldausgabeautomaten, noch immer weitgehend die Bezahlung über das ineffiziente Scheckwesen statt über Abbuchungssysteme. Die Chance tendiert gegen Null, einen kompetenten Verkäufer zu finden, der über Produkteigenschaften aufklären könnte: in einem Bekleidungsgeschäft, im Computerladen oder in der Buchhandlung; man kann aber alles zu Hause ausprobieren und unproblematisch zurückgeben. Anrufe verenden über zahlreiche Tastenkombinationen per Computer im elektronischen Gestrüpp. Der Taxifahrer findet die gesuchte Straße nur, wenn man ihm den Weg im Detail beschreibt; er sieht dies auch überhaupt nicht als seine Aufgabe an.

Europa ist immer noch anspruchsvoller, was die Qualifikation von Verkäufern und anderen Dienstleistern betrifft; zum Teil natürlich auf Grund seiner quasi-zünftlerischen Regelungen auf beruflich reglementierten und segmentierten Märkten. Neuerdings werden gewisse Liberalisierungen in diesem Zunftwesen vorgenommen, zumal es sich ja auch verschiedentlich um die Absicherung von Pfründen und Schutzzonen handelt; mehr Wettbewerb kann die Leistungen verbessern, aber mehr Flexibilität kann auch schlechtere Qualität bedeuten, ohne dass die Markttransparenz rationale Entscheidung des Konsumenten erlaubt. Europa ist aber ohnehin im Aufholen, was die amerikanische Ignoranz gegenüber der Qualität betrifft.

6. Die Flexibilisierung der Märkte


Amerikanische Märkte sind flexibler als die europäischen, insbesondere gilt dies für die Arbeitsmärkte. Der Arbeitsmarkt entwickelt sich allerdings in Europa wie in Amerika in Richtung Flexibilität. Die neue Selbstständigkeit, die Tätigkeit als free lancer &150; das entspricht dem alten amerikanischen Mythos von der Selbstständigkeit.

Richard Sennett (1998) beschreibt diese Welt: die erforderliche Bereitschaft, immer neu anzufangen; den dauernden Wechsel von Jobs, Personen, Kontexten, Qualifikationen; den Menschen im Zustand permanenter Selbstzerstörung, Selbstverwandlung und Selbstschaffung; wer sich nicht anstrengt, ist draußen; mitschwimmen im Drift; die Erfahrung der Bodenlosigkeit; die Notwendigkeit, sich permanent von Neuem beweisen, immer wieder von vorne anfangen zu müssen; den Druck, keinen Durchhänger haben zu dürfen; die Wahrnehmung, nicht mehr im Kreise von Freunden, Bekannten, Vertrauten zu arbeiten; die Schwierigkeit, sich nicht mehr aus seiner Arbeitskompetenz heraus definieren zu können; kurz: den flexiblen Menschen.

Die beiden Modelle &150; USA versus Europa &150; setzen unterschiedliche Akzente.

* Die USA setzen stärker auf Flexibilität, das heißt: Mitarbeiter rasch entlassen, rasch wiedereinstellen; niedrige Einkommensersatzleistungen. Sie setzen damit auf billige Arbeitskräfte und schaffen hohe Beschäftigung. Die Schattenseite: schlechte Produktivität, verzögerte Anpassung. Es gibt eine stete Zufuhr billiger Arbeitskraft durch Immigration, daher setzt man auf extensives Wachstum: keine Qualifizierung der Arbeitskräfte, verlängerte Arbeitszeiten; Einkommenssteigerungen für hochbezahlte Spezialisten, daneben billige Dienstleistungen durch Unqualifizierte. In den letzten Jahren zieht die Produktivität wieder an: erstens auf Grund von Nachholeffekten, zweitens durch Entlassungen, die auf Grund verschärfter Marktlagen trotz hohen Wachstums erforderlich werden.
* Europa hat hohe Löhne, muss deshalb auch auf hohe Produktivitätssteigerung setzen.25 Dass dies gelingt, mag einerseits auf der besseren Zusammenarbeit (etwa ohne ethnische Schranken) beruhen26, andererseits auf einer höheren Motivation der Mitarbeiter (auf Grund der Wahrnehmung eines Reziprozitätsverhältnisses in Form von gift exchange). In den deutschsprachigen Ländern ist aber auch das Bild der Arbeit ein anderes. Die Menschen betrachten ihre Arbeit nicht nur als Job, sondern &150; im Extremfall &150; als &132;Amt&147; (nicht umsonst die umgangssprachliche Einstufung als &132;Bankbeamter&147, und sie haben ihr persönliches Wesen stolz als mit ihrem &132;Amt&147; verschmolzen gesehen. Arbeitslosigkeit ist für sie keine &132;Job-Pause&147;, sondern eine soziale Schande &150; freilich ist auch dies eine Einschätzung mit abnehmender Tendenz.. In weniger flexiblen Arbeitsmärkten haben die Marktpartner jedenfalls ein wenig das Gefühl, &132;in einem Boot&147; zu sitzen, sie fühlen sich mit dem Unternehmen verbunden; bei hoher Flexibilität ist dies &150; ganz rational gesehen &150; nicht der Fall.27

Die Flexibilität geht in zwei Richtungen: auf der einen Seite der Spediteur mit dem eigenem LKW bei seiner ehemaligen Firma, der sich auf eigenes Risiko totfährt; auf der anderen Seite der Software-Entwickler, der mit drei Aufträgen im Jahr mehr verdient als der Manager, der ihm den Auftrag erteilt. Gewinner und Verlierer: Amerikaner haben damit kein Problem, Europäer schon (Luttwak 1999). In manchen Fäller gilt auch: the winner takes all (Frank/Cook 1995) Aber Amerika gibt die Richtung vor, es ist den Europäern ein paar Jahre voraus.

Flexibilität bedeutet auch Unsicherheit. Der Einzelne ist besser oder schlechter abgesichert, abhängig davon, wohin ihn die Marktströmungen treiben, denn der Staat hält sich zurück. Für atypische Arbeitsverhältnisse ist es typisch, dass sie kaum Schutz bieten gegen Krankheit, Alter und Schwangerschaft, schon gar nicht bezahlten Urlaub oder Fortbildung &150; wohlfahrtsstaatlicher Ballast wird in diesen Jahren abgeworfen. Arbeit ist dann oft nicht nur das halbe Leben, sondern das ganze. In kleineren Unternehmen gibt es keine Sicherungen, in größeren schon. Höher Qualifizierte können sich ihre private Versicherung leisten, weniger Qualifizierte nicht. Und sicher ist gar nichts: Nächste Woche kann man aus dem Job fliegen, und im nächsten Monat kann es sein, dass man wegen einer Magenoperation das Haus verkaufen muss.

Empirische Daten zeigen, dass es kein Idealmodell gibt. Niedrige Arbeitslosenraten finden sich in wirtschaftsliberalen Ländern wie den USA, in sozialdemokratisch-korporatistischen Ländern wie Österreich, in den Niederlanden oder Skandinavien. Es sind Länder mit hoher und niedriger Erwerbsquote, mit hoher und niedriger Teilzeitarbeit, mit niedriger Armutsquote wie in Europa oder mit hoher Armutsquote wie in den USA. Der Vergleich zwischen den europäischen (oder österreichischen) Daten und den amerikanischen Daten lässt zwar die jeweiligen Konturen erkennen, ist aber im Hinblick auf ordnungspolitische Fragen nicht aufschlussreich.28


Aber es gibt noch eine fundamentalere &132;Systemfrage&147;: die Frage nämlich, inw

#55   http://www.beepworld.de/members44/palastikkuh/index.htm26.05.2005 - 22:18
http://www.beepworld.de/members44/palastikkuh/index.htm

#54   http://briefeankonrad.tripod.com/26.05.2005 - 21:47
http://briefeankonrad.tripod.com/

#53   ffffffff26.05.2005 - 21:24
Anbetung

Verstehen wir wirklich,worin der eigentliche Sinn der eucharistischen Anbetung besteht?

Sie ist eine kultische Handlung,mit der wir in der Gegenwart Christi,der sein Leben für uns hingegeben hat,unserm Staunen Ausdruck verleihen.Wir stauen über seine grenzenlose Liebe,derer wir nicht würdig sind und mit der er uns dennoch aus grenzenloser Barmherzigkeit in unserer Armseligkeit beschenkt.

Die eucharistische Anbetung ist "Kult" und "Kultur" im tiefsten Sinn des Wortes.Wer von Kultur und der notwendigen Vorraussetzung von Kultur spricht,meint damit,daß es bestimmte Grundhaltungen zu "kultivieren" gilt,ohne die eine wirkliche und das Leben prägende Kultur nicht bestehen kann.Die eucharistische Anbetung ist nun genau die Kultivierung der Haltungen der Demut,der Gesinnung der Armut,der Dankbarkeit und der Danksagung (wie die wörtliche Übersetzung von "Eucharistie" lautet).Sie ist das von Verwunderung und Staunen erfüllte Dankgebet angesichts der Gabe Gottes.

Diese in der eucharistischen Anbetung kultivierten Haltungen helfen uns dann auch,die heilige Messe und die Kommunion tiefer und fruchtbarer zu erleben.Man könnte den Gedanken sogar noch ausweitenie eucharistische Anbetung ist nicht nur dafür von Bedeutung,daß die Eucharistie ins uns die Wirkung entfalten kann,sondern auch dafür,daß die Worte Gottes in uns wirksam werden kann.Dieses Wort ist eine Gabe,die immer auch etwas von der Unvorhersehbarkeit Gottes einschließt und für uns Unvermutetes bereit hält.Es erweist sichals lebendiges Wort,das uns ,wenn wir wirklich hinhören,immer wieder Neues zu sagen hat.

ALTER

Das Alter bringt den Menschen in eine ernste und schwierige Situation.Es konfrontiert uns mit einem grundlegendem Problem,das mit dem menschlichen Leben gegeben ist.In den unvergesslichen Worten aus dem letzten Kapitel Kohelet wird dies so ausgedrückt:"Denk an deinen Schöpfer in deinen frühen Jahren,ehe die Tage der Krankheit kommen und die Jahre dich erreichen,von denen du sagen wirst:Ich mag sie nicht!"(Koh 12,1).Dieser Text der Bibel drückt drastisch aus,welcher Ernst im Altwerden des Menschen liegt.Altwerden ist nicht reduzierbar auf das Voranschreiten der Zahl der Jahre.Es besteht vielmehr in dem Drama,daß jeder von uns erlebt oder erleben wirdas die körperlichen Kräfte nachlassen und sich die Widrigkeiten und Gebrechlichkeiten verfielfachen.Das damit verbundene tiefe Leid ist oft nur schwer nachvollziehbar.

Bewältigt werden kann dieses Drama nur von dem Betroffenen selbst.Es gibt keine äußerliche Hilfe,die die verzweifelung der Alten verhindern.Jeder muß für sich aus seinem eigenem Inneren neue Lebenskraft schöpfen und sich dem ewigen und endgültigen Werten zuwenden.Nur so lassen sich die Widerwärtigkeiten überwinden und der Schmerz des Schwindens der vergänglichen Worte ausgleichen.

Die Menschen müssen begreifen lernen,daß es möglich ist,neue Kraft zu schöpfen,auch wenn man, in Begriffen der Effizienz,unvermeidlich an "Schlagkraft" verliert.Weisheit und Reife sind beständige Werte.

Es ist äußerst schwierig,den Menschen mit gehaltvollen Worten zu helfen,aber wir sollten den Mut dazu aufbringen .Grobe Worte sind fehl am Platz,aber ebensowenig hilft billiger Trost.Wir müssen die Mitte finden,das Wort,das von der Liebe getragen ist.Wir müssen das Wort finden,das feinfühlig den springenden Punkt trifft und den Betroffenen aufatmen läßt.Er befindet sich in einer dramatischen Situationen,die für den Außensthehenden nur schwer nachvollziehbar ist.Vielleicht kann man sie mit der Situation Jesu im Garten Getsemani vergleichen.Es ist die Situation,in der ein Mensch vor die Entscheidung gestellt wird,ob er sein schweres Schicksal annimmt.

Almosen

Wir sollten den Wert des Almosens wiederentdecken.

Ich verstehe darunter die spontane Hilfe,die nicht den Anspruch erhebt,einen Problemfall umfassebd zu lösen,sondern das tut was im Augenblick möglich ist.Natürlich kann ein solches Handeln verdeutig sein.Womöglich fördert es beim Empfänger Arbeitsscheu und Unredlichkeit,während es beim Geber das Gewissen beruhigt,ohne das er sich ernsthaft mit dem Problem befasst.Wer Almosen gibt,sollte also die Situation ganz realistisch einschätzen.Vor allem aber darf das Almosen nicht zum Ersatz werden für eine gründlichere und wirkungsvollere Lösung.Dann ist das Almosengeben,auch wenn die Risiken nicht zu leugnen sind,reich an Werten.

Wer Almosen gibt,läßt erkennen,daß er die Wirklichkeit sieht,wie sie ist:

Es gibt auch in unserer Gesellschaft Fälle von Armut,die mit Sozialpolitik nur schwer zu erfassen und zu beheben sind.Ja, es sind gerade bestimmte Mechanismen unserer Fortschritts und Wohlstandskultur,die zur Folge haben,daß Menschen ausgegrenzt,gesellschaftlich an den Rand gedrängt oder sogar asozial werden.Selbstverständlich muß etwas unternommen werden,die Mechanismen so zu verändern,daß sie nicht von sich aus negative Ergebnisse hervorbringen,und wenn sie doch eintreten,muß alles getan werden,daß ihnen sozialpolitisch abgeholfen wird.Es muß aber auch schon vorher etwas getan werden.Was von Fall zu Fall getan werden kann,gibt die Nächstenliebe zu erkennen.

In diesem Tun von Fall zu Fall,das sehr gut weiß,daß viel mehr getan werden müßte,zeigt sich ein weiterer Wert des Almosens:Almosengeben ist eine prophetische Handlung,die zugleich eine mahnende und erzieherische Wirkung hat.Es macht deutlich,daß keine irdische Gesellschaft,wie vollkommen sie auch organisiert sein mag,alle Probleme zu lösen kann.Allein Gott wird beim Kommen seinrs Reiches alle Tränen trocknen und alle Trauer und jedem Schmerz ein Ende bereiten.Insofern mahnt uns das Almosen,den Brüdern und Schwestern in Demut gegenübertreten.Wir sollten nicht meinen,über ihnen zu stehen,sondern sie um Verzeihung bitten,daß wir nur so wenig für sie tun können.Damit lernen wir dann auch,den wahren Wert der Nächstenliebe zu begreifenie Nächstenliebe hat ihren Wert nicht nur und auch nicht hauptsächlich in den Früchten,die sie bringt.Sie ist in sich und für sich selbst wervoll.

#52   http://www.20six.de/Elisabeth1/weblogCategory/1unr33nphhsetHomepage26.05.2005 - 21:20
http://www.20six.de/Elisabeth1/weblogCategory/1unr33nphhset

#51   dddddddd26.05.2005 - 21:16
Carlo Martini: In Heppenheim mit Medaille "Frieden durch Dialog" geehrt

ICCJ würdigt Verdienste des Mailänder Erzbischofs um das interreligiöse Gespräch

Vortrag über das gemeinsame Bemühen der Religionen um Gerechtigkeit und Frieden

Heppenheim. Für seine Verdienste um das interreligiöse Gespräch ist der Erzbischof von Mailand, Kardinal Carlo Maria Martini (71), vom Internationalen Rat der Christen und Juden (ICCJ) mit der Medaille "Frieden durch Dialog" (Interfaith Gold Medallion "Peace through Dialogue" geehrt worden. Der Schirmherr des ICCJ, Sir Sigmund Sternberg, London, überreichte die hohe Auszeichnung im Kurfürstensaal des Amtshofes Heppenheim. Dort hielt Martini, der einer der Ehrenpräsidenten des ICCJ ist, einen Vortrag zum Thema "Gemeinsames Bemühen um Gerechtigkeit und Frieden". Zuvor hatte er ein Gespräch mit dem Exekutiv-Vorstand des ICCJ im Martin Buber-Haus in Heppenheim geführt, an denen auch der Bischof von Mainz und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Dr. Karl Lehmann, teilnahm.

Sternberg unterstrich, daß damit die Verdienste Martinis im Gespräch zwischen Christen und Juden und im Verhältnis zu anderen Glaubensgemeinschaften anerkannt werden sollten. Mit dieser Anerkennung solle die weitere segensreiche Zusammenarbeit bekräftigt werden. Vor zahlreichen Gästen, unter ihnen der frühere Präsident des ICCJ, Prof. Dr. Martin Stöhr, und der Leiter des Muslim College in London, Scheich Dr. Zaki Badawi, betonte der Präsident des ICCJ, Oberrabbiner David Rosen, Jerusalem, Martini erhalte die Auszeichnung, die bisher erst wenigen verliehen wurde, für seinen Einsatz, daß sich die Kinder Abrahams einander annähern konnten. Kürzlich war auch der Präsident des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen, Kardinal Edward Cassidy, mit der Medaille geehrt worden.

Martini erklärte in seinem Vortrag, daß für jeden Menschen das Haus ein "Symbol des Dialogs" sei, zum Beispiel des Dialogs in der Familie, mit den Mitmenschen und mit Gott. Für das Martin Buber-Haus in Heppenheim gelte das in besonderer Weise. Es sei wertvoll als Zeichen der Hoffnung und als Sitz einer Institution, des ICCJ, die einen sehr bedeutungsvollen Dialog für die Menschheit der Gegenwart fördere. Die ungeheure Tragödie des Zweiten Weltkrieges und im besonderen der Abgrund des Bösen der Shoa hätten in vorher nie dagewesener Weise gezeigt, "wie hinfällig der Weg des Menschen in der Geschichte ist und für welche Irrtümer wir Verantwortliche und Mittäter sein können". Im Blick auf die Massenvernichtungen des 20. Jahrhunderts, vom Völkermord an den Armeniern bis zu ethnischen Säuberungen in Europa und den Massakern in Zentralafrika könne man sagen, daß das Maß des Mitleidens und der Solidarität immer mehr zur Chiffre werde, "die die Reife einer Person anzeigt, ihre Fähigkeit, sich dem Bösen mit dem Guten entgegenzustellen".

Martini unterstrich, daß es heute, 50 Jahre nach der Shoa, in der Welt ungeheure Zonen des Elends gebe: moralisch wie materiell, in West und Ost, im Norden und im Süden. Diese Situation sei verschlimmert durch die Ausnutzung des Elends durch kriminelle Handelssysteme von Drogen, Waffen und Prostitution und darüber hinaus durch die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. In dieser Situation müsse der Welthandel von einem allgemeinen ethischen Streben sowie von sozialem und bildungsmäßigem Engagement getragen sein. Gegenüber den Herausforderungen der Gegenwart bleibe es für Christen, Juden und Muslime eine Aufgabe von ungeheurer Dimension, Gott "Schulter an Schulter" zu dienen und gemeinsam für Frieden und Gerechtigkeit zu arbeiten, betonte Martini. Auch das große Jubiläum des Jahres 2000 bringe wieder nachdrücklich den Plan der Erlösung ins Gespräch, den Gott in der Geschichte vollbringen wolle.

Zum Verhältnis von Christen und Juden erklärte Martini, die leidenschaftliche und engagierte Liebe von Gott, dem Vater, offenbare sich besonders für Israel. Die Christen könnten darin das väterliche und mütterliche Antlitz wahrnehmen, "in dem wir der Bibel der Juden in Meditation und Gebet begegnen, die unsere Kirche mit Demut und Dankbarkeit als das erste Heilige Buch annimmt". Über diese spirituelle Dimension der Verbundenheit hinaus sei für die gegenseitigen Beziehungen die ethische Dimension von größter Bedeutung. In der gemeinsamen Verantwortlichkeit für das Heil der Welt und der Menschheit seien Israel und die Kirche nicht allein, sondern in einer weltweiten Gemeinschaft des Zeugnisses des Gebetes für den Frieden verbunden, die Papst Johannes Paul II. 1986 in Assisi zusammengerufen habe. Die großen religiösen Traditionen der Menschheit seien noch immer Inspiration für die Suche nach Frieden, bekräftigte er. In diesen Spannungsbogen füge sich auch das kühne und beharrliche Engagement des ICCJ ein. Nachdrücklich stellte Martini fest, daß der interreligiöse Dialog nicht zum Vorwand für Verurteilung, Kritik und Bann werden dürfe. Es werde für die Glaubwürdigkeit des Evangeliums im nächsten Jahrtausend bestimmend sein, "in welcher Weise wir versuchen, die schweren Irrtümer und Vorurteile der Vergangenheit zu vermeiden und Heilmittel anzuwenden". Der wahrhaftige Dialog zwischen Juden und Christen sei ein Hoffnungszeichen für den universalen Dialog in der Welt. Das bevorstehende Heilige Jahr 2000 habe nach den Worten Papst Johannes Paul II. eine "aufrichtige Prüfung des Gewissens" und eine besondere Hervorhebung der ökumenischen und interreligiösen Frage gebracht.

#50   ffffffffff26.05.2005 - 21:13
Bernhard von Clairvaux: Zugang über die Bibelerfahrung

Die Vermittlung von Gotteserfahrung bei Bernhard von Clairvaux

Mainz. Die Bibelauslegung von Bernhard von Clairvaux kann auch heute noch ein fruchtbarer Zugang zur Heiligen Schrift sein. Vor allem in den Predigten zeige sich Bernhards Bemühen, die Zuhörer zu einer eigenen Gotteserfahrung anhand eines Schriftwortes zu führen, sagte Dr. Dagmar Heller, in Genf tätige Pfarrerin der badischen Landeskirche, in ihrem Vortrag "Schriftauslegung und geistliche Erfahrung bei Bernhard von Clairvaux" am Montag abend, 18. Januar. In den Erbacher Hof eingeladen hatte die Akademie des Bistums Mainz im Rahmen der Vortragsreihe "900 Jahre Citeaux". Im Sinne einer Vermittlung von Gotteserfahrung könnten die Predigten Bernhards für moderne Prediger Vorbild sein, erklärte Heller.

Herzstück von Bernhards Theologie seien seine Bibelauslegungen. In allen seinen Schriften falle sein biblischer Stil auf. Sein gesamtes Denken war von der Heiligen Schrift und ihren Bildern geprägt. Er benutzt häufig biblische Zitate, ohne sie besonders als solche zu kennzeichnen. Diese biblischen Wendungen finden sich auch teilweise in einem ganz anderen Zusammenhang als sie in der Bibel auftauchen. Wenn er jedoch ein Bibelzitat zur Beglaubigung seiner Ausführungen gebraucht, habe Bernhard dies mit bestimmten sprachlichen Formeln gekennzeichnet.

Weiter erklärte Heller, daß für Bernhard die Notwendigkeit der Bibelauslegung selbstverständlich gewesen sei. Nach seiner Auffassung war die menschliche Rede über die göttlichen Geheimnisse in der Heiligen Schrift eben nur eine unvollständige Wiedergabe, die der Auslegung bedarf. Der buchstäbliche Sinn des Textes müsse aufgebrochen werden, damit der eigentliche Sinn hervortreten könne. Im Bild gesprochen ist die Heilige Schrift für Bernhard "Nahrung des Menschen auf dem Weg zu Gott", denn in der Bibel bestehe die Möglichkeit, Gott zu erfahren und so dem Ziel der vollkommenen Gemeinschaft mit Gott näherzukommen.

Bernhard bediente sich der im Mittelalter üblichen Allegorese als gängiger Form der Schriftauslegung, die hinter dem Wortlaut einen verborgenen Sinn sucht. Am Beispiel von Bernhards 51. Predigt über das "Hohelied" erläuterte Dagmar Heller die Methode und deren Besonderheit bei Bernhard von Clairvaux. Insgesamt unterscheide die Allegorese vier verschiedene Schriftsinne. Zunächst den wörtlichen Sinn einer Bibelstelle, also die buchstäbliche Bedeutung des Textes. Erst in einem zweiten Schritt eröffnet dann der geistliche Sinn des Textes eine übertragende Bedeutung, wie zum Beispiel Bernhard im Hohenlied die Figur der Braut mit der Kirche und die Figur dsr Bräutigams mit Christus identifiziere. Der moralische Sinn nimmt dann die Bedeutung für das Leben des einzelnen Menschen in den Blick.

Am bedeutendsten war jedoch für Bernhard der mystische Sinn. Allerdings ist dieser Sinn nur schwer objektiv zu vermitteln. Es geht vielmehr um die eigene, individuelle Erfahrung eines Menschen mit dem Text. An dieser Stelle findet sich in Bernhards Predigten meistens ein Abschnitt über seine in der Kontemplation gemachten Erfahrungen mit dem jeweiligen Schriftwort. Und genau in dieser eigenen Erfahrung des einzelnen wird für Bernhard die Schriftstelle gegenwärtig und Gott im Leben der Menschen durch die Heilige Schrift erfahrbar. Dies sei das Prinzip aller Predigten Bernhards: Dem Hörer solle ermöglicht werden, einen Schriftvers aus eigener Erfahrung zu verstehen und ihm so in der Gegenwart Bedeutung zu verleihen. BL (MBN)

#49   gggggggHomepage26.05.2005 - 20:56
http://www.glaubenheute.de/zeugnis/bekannte/martinizeugnis.htm

www.jknirp.com/ authors.htm

Die Gestalt Jesu - Mein Reisebericht
von Carlo M. Martini
Erzbischof von Mailand, 1983 zum Kardinal ernannt, wurde 1927 in Turin geboren.

1944 Eintritt in den Jesuitenorden, Professor für Bibelwissenschaften, bereits mit 40 Jahren Rektor des Bibelinstitutes und dann der Universität Gregoriana in Rom.


Er gehört zu den heute meist gelesenen geistlichen Autoren. Bei zahlreichen Exerzitien (u. a. vor Papst Paul VI. im Vatikan, 1978) hat er vielen Menschen geholfen, die Bedeutung des Glaubens im Wort der Heiligen Schrift für ihr Leben neu zu entdecken.

In seiner ungewöhnlichen Persönlichkeit verbinden sich wissenschaftliche Begabung und pastorale Erfahrung mit liebenswürdigem Wesen und geistlicher Ausstrahlungskraft. Kardinal Martini bringt die Botschaft der Bibel dem Menschen in zeitgemäßer Sprache nahe.

Von der Gestalt Jesu zu sprechen betrachte ich jetzt, da ich bald siebzig bin, als eine Herausforderung, als Impuls, von den Anfängen her nochmals zu überdenken, was mir die Gestalt des Herrn bedeutete, wie sich der abenteuerliche Weg mit Jesus Christus entfaltet hat, in welchen Etappen, mit welchen dunklen, mit welchen lichtvollen Momenten.

Ich halte es allerdings für schwierig, auf abstrakte oder distanzierte Art von seiner Gestalt zu sprechen. Denn es gehört zur Gestalt Jesu, daß sie jeden, der in ihre Nähe kommt, nicht mehr losläßt. Wenn ich in meinen Ausführungen rein theoretisch bleiben würde, hätte ich den Eindruck, etwas zu sagen, was ich nicht empfinde, und nicht sagen zu können, was ich empfinde. Den Begegnungen mit ihm entspricht es mehr, wenn ich persönlich spreche und den konkreten Weg beschreibe, auf welchem mir in verschiedenen Etappen und Momenten die Gestalt Jesu nähergekommen ist. Ich erzähle also eine Art Autobiographie, berichte von einer Reise und mische dabei - ohne sie zu vermischen subjektive und objektive Elemente. Zu den objektiven zählen die geschichtlichen Daten des Lebens Jesu, zu den subjektiven die oft mühsamen Wegstrecken, über die ich diese Daten und Fakten kennen und richtig einschätzen gelernt, mich mit ihnen auseinandergesetzt und sie in mein Wissen und die Gestaltung meines Lebens integriert habe.

Ich spreche in der dritten und in der ersten Person, in der Einzahl und in der Mehrzahl („ich" und „wir". Ich bringe von mir etwas zur Sprache, was auch von jedem anderen stammen könnte. Ich erzähle ein Abenteuer, das sinnbildhaft sein kann und, so hoffe ich es, zum Nachdenken anregt beziehungsweise hilft, die eigene Antwort vorzubereiten.

Es handelt sich um ein Abenteuer, dessen Zeitabschnitte sich gliedern lassen. In Anspielung auf einen kürzlich erschienenen und bereits stark diskutierten Roman, der von drei Phasen des menschlichen Lebens spricht: von Feuer, Erde, Wind - von einer Zeit des Wachstums, einer Zeit der Auseinandersetzung und einer Zeit der Versöhnung - und in einem freien Bezug auf die Theophanie, die der Prophet Elija auf dem Horeb erlebte (vgl. 1 Könige 19,11-13) und in der sich die Gegenwart Gottes geheimnisvoll im Feuer, im Wind, im Erdbeben und schließlich in einem leisen, sanften Säuseln zeigte, unterteile ich meinen Bericht in fünf Abschnitte. Ich benutze dabei fünf Symbole: das Feuer, die Erde, den Wind, das Erdbeben und das sanfte, leise Säuseln des Schweigens.
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Die Zeit der Faszination oder: Die Zeit des Feuers

Die Reise hat für mich schon sehr früh begonnen: in der Kindheit, in den ersten Jahren der Jugend. Es ist die Geschichte eines Jungen, der Jesus kennenlernte - zu Hause in der Familie, im Rahmen der Schule, in der Umgebung, in der er lebte -, von ihm fasziniert war und sich in ihn verliebte. Er hat auch sofort verstanden, daß man mit einer solchen Gestalt nicht spielen darf: Entweder läßt man sich ganz auf sie ein oder man läßt sie ganz sein.

Es ist eine Zeit, da die Kenntnisse zunehmen und mit Freude angefüllt sind. Die Zeit des Feuers. Er lernt, die Evangelien zu lesen, staunt über die Klarheit der Worte, den Reichtum der Aussagen, die Kraft der Urteile, die Unerschrockenheit der Entscheidungen, die Geschlossenheit dieser Zeugnisse über Jesus. Alles wirkt ursprünglich, frisch, neu, unerwartet, strahlend, fordernd, einfach; es liegt auf der Hand und weist zugleich über sich hinaus. Der Junge erlebt, was André Gide ausgedrückt hat: „Ich lausche deinem Wort, weil es schön ist,. schöner als jedes menschliche Wort."

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Die Zeit der Fragen und Zweifel
oder: Die Zeit der Erde

Diese erste, glückliche Zeit dauert jedoch nicht lange. Ihr folgt ein zweiter Abschnitt, den wir als die Etappe der Fragen und Zweifel bezeichnen können. Die Etappe der Erde. Es stellen sich Fragen ein, vorerst kaum merklich, dann hartnäckiger: Ist es wirklich so? Woher können wir wissen, ob die Evangelien die Wahrheit sagen? Ob sich die Ereignisse so abgespielt haben? Worin besteht das geschichtliche Fundament dessen, was diese Bücher über Jesus erzählen? Weshalb verdienen diese Werke unseren Glauben? Besteht nicht die Gefahr, daß sie eine Gestalt aufbauen, die letztlich nur dank der Phantasie von ein paar früheren Fanatikern existiert? Alles, was über Jesus gesagt wird, ist gut und recht, aber entspricht es der Wirklichkeit?

Der Junge beschließt, alles zu lesen, was er über die geschichtlichen Hintergründe zur Gestalt Jesu auftreiben kann. Er durchstöbert die Bibliotheken und hört sich die Ausführungen derer an, die mehr zu wissen scheinen. Doch die Befriedigung stellt sich nicht ein, es bleibt eine Enttäuschung. Aus den Antworten entstehen bloß neue Fragen. Er gewinnt den Eindruck, daß diejenigen, die seine Fragen im Hinblick auf das geschichtliche Fundament der Gestalt Jesu beantworten, es in einer gewissen Oberflächlichkeit tun und vorgefaßten Meinungen aufsitzen, ja daß sie sich letztlich nur den unangenehmen Fragen des Jungen entziehen wollen oder eine Sache verteidigen, die für sie schon gelaufen ist und zu der sie schon Stellung bezogen haben.

Und Lösungen, die man vorausgeahnt hat, können nie ganz befriedigen.

Die zweite Etappe der Fragen und Zweifel läßt sich deshalb auch als die Zeit der zu schnellen, zu oberflächlichen und ausweichenden Antworten bezeichnen. Das Geheimnis der Gestalt Jesu allerdings verdichtet sich, wenn sich die Fragen vermehren.

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Die Zeit der Unerbittlichkeit
oder: Die Zeit des heftigen Windes

Es folgt nun - für mein damaliges, fünfundzwanzigjähriges Leben ein Glücksfall - die Zeit der Unerbittlichkeit, die Zeit des heftigen Windes, von dem das erste Buch der Könige spricht: „Ein starker, heftiger Sturm, der die Berge zerriß und die Felsen zerbrach" (19,11).

Mein Wunsch, der Wahrheit über Jesus bis auf den Grund nachzugehen, trifft sich dank glücklicher Umstände der Zeit und des Ortes mit der Möglichkeit, mich ganz dem wissenschaftlichen Studium der christlichen Anfänge widmen zu können. Ich studiere die Sprachen, in denen die biblischen Bücher geschrieben wurden (Hebräisch, Aramäisch, Griechisch), ich lese die alten Papyri und Kodizes und beschäftige mich mit den archäologischen Funden und der Geschichte jener Kulturen, im Rahmen derer sich die Ereignisse der Evangelien abgespielt haben usw. Dies ist eine Arbeit, in der es keine Pause gibt, eine Entdeckungsfahrt, auf der man an kein Ende kommt. Es braucht einen starken Willen, eben den Willen eines heftigen Windes, damit man vor der Menge der Daten nicht kapituliert. Doch der Einsatz lohnt sich. Denn in dieser Zeit, die wir die Zeit der Unerbittlichkeit und des gewaltigen Windes genannt haben, gewinnt er viele Kenntnisse und die Fähigkeit, sich in vielen Dingen selber zu orientieren und sich selber Antworten zu geben. Doch das Abenteuer ist damit noch nicht zu Ende.
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Die Zeit der Prüfung
oder: Die Zeit des Erdbebens

Die dritte Phase brachte mich in Kontakt mit einer Menge von Texten und Belegen für die damalige Zeit, so daß ich genauer und wissenschaftlich belegen konnte, was sich von Jesus aussagen läßt. Und solche Forschungen laufen auch heute noch weiter, nur kann ich sie nicht mehr aus der Nähe verfolgen.

Die neuesten Diskussionen darüber, daß einige Papyri in ihrer Entstehungszeit doch früher angesetzt werden müssen, zeigen, daß wir heute besser als früher die große Authentizität der Evangelien nachweisen können. Diese Datierungsfrage ist wichtig. Ich bin hier anderer Meinung als jene, die sagen, heute sollte weniger nach der Beglaubigung der Geschichte, nach dem Dokument, gesucht werden, als vielmehr nach dem prophetischen Gehalt der Botschaft. Der prophetische Gehalt ist sicher notwendig, aber wehe uns, wenn die Geschichte fehlt, wenn uns die Dokumente nicht mehr den Weg zum Gestein der Fakten erschließen.

Selbstverständlich genügt das Dokument allein nicht. Alles muß fein durchgesiebt werden. Die Zeit der Unerbittlichkeit mußte durch die Zeit der Prüfung ergänzt werden, durch eine Zeit, in der alles in Frage gestellt wurde. Ich denke hier an das Wort, das Jesus zu Petrus gesagt hat: »Simon, Simon, der Satan hat verlangt, daß er euch wie Weizen sieben darf" (Lukas 22,31). Das Sieb der Prüfung kommt nicht zufällig, es handelt sich vielmehr um einen entscheidenden Augenblick, den Augenblick des Erdbebens, um auf die Elija-Geschichte anzuspielen. Es ist die Zeit, in der der Glaube geschüttelt und geprüft wird.

Die Prüfung ist für mich auf folgende Art gekommen. Zum Studium der Quellen und der alten Zeugnisse über Jesus gehörte auch die Beschäftigung mit den alten und modernen Bibelkommentaren, vor allem mit den Interpretationen seit 1700, seit dem Aufkommen der kritischen Geschichtswissenschaft, der Aufklärung und dem Positivismus. Ich begann, alle Bücher und Interpretationen zu lesen, ich verschlang sie, arbeitete mich durch sie hindurch und suchte sie zu bewerten. Ich wollte sehen, wer Recht hatte. Bei dieser Anstrengung umfängt ihn mehrfach die Nacht des Geistes, auch die Nacht der Angst. Oft vergehen Tage, Wochen und Monate in einer starken inneren Spannung. Und es meldet sich der Verdacht: Gibt es überhaupt einen Ausweg aus dem Tunnel des kritischen Zweifels, der systematischen Infragestellung aller Daten?

Ich möchte an dieser Stelle aber auch einen Dank formulieren, d. h. ich möchte den berühmten und sehr fordernden Anhängern des kritischen Rationalismus und den „Meistern des Argwohns" im letzten und in unserem Jahrhundert meine Anerkennung aussprechen, denn sie haben mich mit allen nur möglichen, ja sogar mit den extremsten Einwänden gegen die Gestalt Jesu direkt konfrontiert: die Hypothese, daß Jesus, geschichtlich gesehen, gar nicht gelebt hat; die Ablehnung bestimmter Aussagen der Evangelisten; die Behauptung, es sei heute gar nicht mehr möglich, eine Jesus Biographie zu schreiben; die wissenschaftliche Kritik an den Versuchen, Worte und Taten Jesu zu rekonstruieren; die Zweifel gegenüber den wesentlichen Punkten seines Lebens usw. Für mich wurde es zu einer sehr fruchtbaren und anregenden Übung: vor keiner kritischen Frage die Flucht zu ergreifen, mich vielmehr den Fragen zu stellen, ja mich in Frage stellen zu lassen durch all die Versuche, die Gestalt Jesu zu reduzieren, bis zu ihrer Auflösung zu reduzieren, aus ihr eine mythische oder phantastische Gestalt zu machen oder sie zu reduzieren auf Aussagen der Folgezeit.

Sergio Zavoli sagt, ein Christ des 20. Jahrhunderts müsse seine Fragen ohne Angst dem Feuer der Kritik aussetzen können und schauen, was von ihnen noch bleibt. Ich bin mit ihm ganz einverstanden. Ich habe mich systematisch dem Zweifel ausgesetzt, eine schmerzhafte und heilsame Erfahrung; denn im Bewußtsein, nach der Wahrheit zu suchen, war ich schutzlos. Es war wie die ständige Suche nach dem Gleichgewicht, und zwar auf einem Boden, der einem Erdbeben ausgesetzt war.

Im Klartext heißt dies, daß ich ständig nach einer Antwort auf die fundamentale Frage suchen mußte: Sind dieses Wort Jesu, dieses Ereignis in seinem Leben, diese Verhaltensweisen ursprünglich? Stammen sie von ihm? Oder stammen sie aus einer späteren Zeit? Sind sie das Ergebnis der Begeisterung oder des Fanatismus von späteren Bewunderern und Anhängern? Sind sie das Produkt der schöpferischen Kräfte der ersten christlichen Gemeinden? Und wenn man davon auszugehen hat - und man muß davon ausgehen -, daß es in den christlichen Gemeinden vorerst eine mündliche und erst im Anschluß daran eine schriftliche Weitergabe der Worte und Taten Jesu gab, bis zu welchem Grad ist es dann überhaupt noch möglich, zu wissen, was Jesus wirklich gewollt, gesagt und getan hat? [...]

So stößt man zum Beispiel auf die durchschlagende Kraft seiner Gleichnisse, die rätselhaft und präzis zugleich sind; die Unruhe, die von den paradoxen Aussagen seiner Seligpreisungen ausgeht; die folgerichtige Kritik an der religiösen Praxis seiner Zeit, seine Auseinandersetzungen mit der Institution; das grenzenlose Verzeihen, das er verkündet und mit dem er bei allen, die Recht und Gerechtigkeit vertreten, Anstoß erregt; seine Aufmerksamkeit gegenüber den Menschen am Rand oder außerhalb der gesellschaftlichen Anerkennung, seine Aufmerksamkeit gegenüber den Sündern bis hin zum Skandal; seinen Sinn für die Kranken und seine heilenden Berührungen, die Begeisterung, aber auch Neid hervorrufen; seinen Mut, aber auch seine Angst angesichts des Todes; die durch nichts zu unterdrückende Gewißheit seiner jünger, daß sie ihm, nachdem sie ihn bestattet haben, wieder begegnet sind und er lebte. Es sind Fakten und Worte, die keine Kritik - sie mag so zersetzend und radikal sein, wie sie will - erledigen kann, im Gegenteil: Sie (dies war meine Erfahrung) rückt ins Licht, was einzig als

Erklärung gelten kann für das, was sich ereignet hat, und für die Entstehung der Zeugnisse über Jesus.

Wir stehen in Jesus einer Gestalt gegenüber, die geschichtlich gesehen einzigartig und neu ist, die sich nicht so leicht in eine vorgegebene Typologie einordnen läßt. Es ist die Gestalt einer starken, aber auch offenen Persönlichkeit, umgänglich und präzise, bescheiden und mit unerhörten Ansprüchen, unbedeutend nach dem menschlichen Maßstab von Geschichte und Politik und zugleich fähig, den Herrschenden Angst einzujagen. Es ist die Gestalt eines Menschen, der wie ein Meteor vorübergezogen ist (im Höchstfall zwei oder drei Jahre öffentlicher Tätigkeit, also kaum die Zeit, bekannt zu werden) und dessen Wirksamkeit ein katastrophales Ende gefunden hat: ausgeschieden und verlassen von allen, die Macht besaßen, an den Rand gedrängt und vernichtet wie ein Wesen, das der Menschheit zum Schaden gereicht. Und doch ist es eine Figur, die aus der Geschichte seiner Zeit nicht mehr weggedacht werden kann; sie weckt Begeisterung und Ängste, wird schon bald von einigen als Prophet, Heiliger und Weiser, als Erneuerer anerkannt und von den andern als gefährlicher Umstürzler abgelehnt.

Jesus kann offensichtlich der Erniedrigung seines Volkes einen Sinn geben und einen Weg in die Befreiung zeigen, indem er neue religiöse Horizonte eröffnet; gleichzeitig geht er gegen die überlieferten Ideen an und provoziert Spaltungen. Er scheint neue und packende Dinge zu sagen, und doch siedelt er sich ganz. im tradierten Rahmen seines Volkes an, schafft eine Kontinuität in der Sprache seiner Leute. All das zählt zu den Gegebenheiten in den Evangelien, die auch nach jedem Versuch einer wissenschaftlichen, systematischen Reduktion übrigbleiben.

Es ist die Zeit des Siebes, der Prüfung, des Erdbebens, des Durchgangs durch den Stacheldrahtverhau der wissenschaftlichen Kritik. Sie schenkt vielen Fragen gegenüber eine zu friedenstellende Antwort, es tut gut, jetzt über die Gestalt Jesu nachzudenken. Und doch stellt sie uns vor noch schärfere und schwierigere Fragen, vor eine fünfte Etappe. [...]

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Die Zeit des Kampfes
oder: Die Zeit des leisen, sanften Säuselns

Die vier Etappen, die zur geschichtlichen Kenntnis der Gestalt Jesu führen (die Etappe der Faszination / des Feuers, diejenige der Fragen / der Erde, diejenige der Unerbittlichkeit / des Sturms und diejenige des Siebs oder des Kriegs der Interpretationen / des Erdbebens), die ich in einer biographischen Form vorgestellt habe, die aber die Etappen einer jeden ernsthaften Suche sind, bilden letztlich nur das Vorspiel zu jener tieferen Erkenntnis, in der unser Geist und unser Herz zur Ruhe kommen.

An die Zeit der Verliebtheit, die Zeit der Zweifel und Fragen, die Zeit der Unerbittlichkeit und die Zeit der Prüfung, schließt sich die Zeit der Auseinandersetzung mit der Person Jesu an, eine Auseinandersetzung, die an kein Ende kommt. Sie gleicht dem Kampf Jakobs in der Nacht am Ufer des Jabbok, als „ein Mann mit ihm rang, bis die Morgenröte aufstieg" (Genesis 32,25). Jakob kämpft mit jemandem, der stärker ist und den Griff nicht lockert, und die Morgenröte der vollen und unverhüllten Erkenntnis bricht noch nicht an. Trotz der Gewißheit, eine greifbare Wirklichkeit zu umfassen denn er wird gepackt und packt selber zu -, bleibt er in der Nacht.

Es verhält sich ähnlich wie bei der letzten Erfahrung des Elija: Nach dem Sturm, dem Erdbeben und dem Feuer hört er ein leichtes Säuseln, ein kaum wahrnehmbares Rauschen; mit seinem Mantel bedeckt er sein Gesicht, denn er weiß, daß sich jetzt ereignet, worauf er gewartet hat (vgl. 1 Könige 19,13): Er tritt vor die Höhle und vernimmt die Stimme Gottes.

Oder ohne all diese Bilder und Anspielungen: Ich möchte betonen, daß die Erkenntnis der Geschichtlichkeit Jesu nicht bei sich selber stehen bleibt, sondern auf die Fragen hinausläuft: Bist du bereit, meinen Worten als Worten, die von Gott kommen, Glauben zu schenken? Bist du bereit, meine Sendung anzuerkennen als eine Sendung, die vom Vater im Himmel stammt? Bist du bereit, mir im Tiefsten zu vertrauen wie Petrus, der sagt: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!" (Matthäus 16,16)?

Die fünfte Etappe ist die Etappe der Glaubenserkenntnis, jenes feinen Rauschens, das man kaum wahrnimmt. Sie fordert einen Sprung, den keinerlei Nachforschung historischer Art abnehmen kann, einen Schritt, den jeder in seinem eigenen Innern und vor dem eigenen Gewissen vollzieht. Es handelt sich um einen Schritt, der uns nicht der Gestalt, sondern dem Geheimnis Jesu näherbringt, seinem einzigartigen Bezug zum Vater, seiner Transzendenz, seiner Bedeutung für die Geschichte jedes Menschen und der ganzen Menschheit, seiner Fähigkeit, uns Gottes Antlitz zu zeigen. In diesem Moment erheben sich neue und noch bedrängendere Fragen: Weshalb erlebt dieser Mensch, der glaubt, Gott nahe zu sein und von Gott geliebt zu werden, in seinem Leben ein so grausames Schicksal? Weshalb erscheint er, menschlich gesehen, als der Besiegte? Weshalb gibt er sich schwach und schutzlos? Dieser Kampf in der Nacht, wie der Kampf Jakobs am Ufer des Jabbok, dient der Erkenntnis jenes Namens, der über alle Namen ist (vgl. Philipper 2,9). Ein solcher Kampf zeichnet sich in der Frage ab, die Jakob der geheimnisvollen Person stellt: „Nenne mir doch deinen Namen" (Genesis 32,30). Es ist dieselbe Frage, die wir auch im Matthäusevangelium zu hören bekommen (vgl. 16,13-14). Sie ist auch im Horchen gegenwärtig, als Elija vor die Höhle tritt und die Worte vernimmt: „Was willst du hier, Elija?" (1 Könige 19,9).

Es gibt also eine letzte Stufe der Erkenntnis Jesu, für die die Kenntnis des Namens Jesu allein nicht reicht; dies ist die Zeit der Glaubenserkenntnis, auch sie eine Zeit der Fragen, der Suche, des Versuchs, die menschliche Niederlage dieses Jesus von Nazaret mit seiner innersten Vertrautheit mit Gott zusammenzubringen, das Kreuz und den Tod auf der einen Seite und die Gottheit auf der anderen Seite - ein Versuch, zu dem wir immer wieder von neuem ansetzen müssen. Verständlicherweise weitet sich der Radius der Fragen auch auf die Erfahrung der Menschen mit dem Schmerz und dem Tod aus, in dem Sinne, daß es uns sinnlos vorkommt, daß Gott sich nicht in Macht und Herrlichkeit offenbart hat, sondern - wie Martin Luther es sehr präzis zum Ausdruck gebracht hat - "sub contrario specie", wirklich im Gegensatz zu dem, was wir uns von Gott vorstellen konnten.

Es kommt zudem noch zu einem weiteren Faktum, zu einer weiteren Überraschung: Wenn wir uns das Geheimnis des gekreuzigten Gottes und der Schwäche Gottes vergegenwärtigen, indem wir sie im gekreuzigten und auferstandenen Jesus wahrnehmen, gewinnen die Worte und Taten Jesu, die Gleichnisse, die Seligpreisungen, die Wunderheilungen, die Aufforderungen zum Verzeihen und sein Leiden eine neue Evidenz. Die Evangelien (und in Verbindung mit ihnen auch die übrigen Teile der Heiligen Schrift) offenbaren eine tiefe Folgerichtigkeit und einen neuen Reichtum an Sinnzusammenhängen. Alles verbindet sich zu einer neuen Erkenntnis Jesu: Er gehört nun zum lebendigen Erfahrungsbereich von uns vergänglichen Menschen auf der Suche nach einer Hoffnung, die uns nicht enttäuscht. Nach dem Kampf in der Nacht am Ufer des Flusses findet Jakob seine Ruhe erst, als er gesegnet wird. Erst am Eingang zur Höhle findet Elija den Mut zu neuen Wegen durch die Wüste.

Alle diese Fragen und Antworten lassen die Glaubenserfahrung, die christliche Erfahrung zu einem immer tieferen Eindringen in die Gestalt Jesu werden; dabei eröffnen sich ständig neue Horizonte, eine Bewegung, die - wie für Jakob - erst am Ende der Nacht zu einem Abschluß kommt, wenn die Morgenröte der vollen Erkenntnis anbricht. Es handelt sich um ein immer wieder überraschendes Abenteuer, um eine Erfahrung, die einen nicht in Ruhe läßt, um eine Reise, deren nur geahntes Ziel sowohl Freude als auch Angst bereitet, Freude, weil wir es bereits erahnen, Angst, weil es noch so weit entfernt liegt. Doch von diesem geheimnisvollen Menschen, mit dem wir in der Nacht kämpfen, können wir bereits jetzt erkennen, daß seine Umarmung uns hält, daß der Kampf uns zwar anstrengt, aber auch auf den Beinen hält, daß dieser Kampf es nicht zuläßt, daß wir zu Fall kommen, uns dem Frust und der Einsamkeit überlassen. Genau in einem solchen Kampf, auf einer solchen Reise, in Etappen, die immer auch Fragen umfassen, werden wir Männer und Frauen zu authentischen Menschen, nach dem Abbild jener Gestalt eines authentischen Menschen, der uns an sich zieht, nach dem Abbild von Jesus Christus. Diese geheimnisvolle und faszinierende Reise wünsche ich jedem Mann und jeder Frau auf der Erde.

#48   rrrrrrrrHomepage26.05.2005 - 20:38
http://al-quds.blogspot.com/

#47   ddddddddd26.05.2005 - 18:19
Cardinal Martini, Archbishop of Milan, retires:
Bible work ‘a central issue’ in his life

MILAN, Italy — Recently the retirement was announced of the Archbishop of Milan, Cardinal Carlo Maria Martini. The United Bible Societies (UBS) sent him a letter expressing profound gratitude for all the work he had done in the UBS context, Dr Jan de Waard writes.

In 1964 Cardinal Martini, at that time Professor of New Testament Textual Studies at the Pontifical Biblical Institute in Rome, became a member of the editorial committee for the UBS Greek New Testament. Even when he was in charge of the archdiocese of Milan, reputedly the largest in the world, he found the time to attend the long session of the committee in August 1981 in Freudenstadt, southwest Germany, at which the final form of the fourth revised edition of the Greek New Testament was established.

Bible work has long been a central issue in the life of Dr Martini. It was at his initiative that, in November 1980, the so-called ‘School of the Word’ was founded with the aim of making the message of the Bible more accessible to the people of God. It has proved a successful model, not only in Italy but elsewhere.

In an interconfessional context, the cardinal’s advice has been very valuable with regard to the selection of competent Roman Catholic candidates as UBS translation consultants. In 1973, while rector of the Pontifical Biblical Institute in Rome, he wrote an important introduction to the thesis La Parola Tradotta, presented by one of the first Roman Catholic UBS translation consultants, Dr Carlo Buzzetti.

In his letter of thanks to UBS, Cardinal Martini stressed his two major occupations for the coming time: biblical studies and intercessory prayer for the many needs of the Church and the world. May we continue to experience rich fruits from his words and work.
Dr Jan de Waard is UBS Interregional Coordinator of Work on Ancient Languages and Texts. (328 words - ITALY.12.12.02)

#46   vvvvvvvv26.05.2005 - 17:50
Mr. President, dear colleagues, I was born in 1927 in Marktl, in Upper Bavaria. I did my philosophical and theological studies immediately after the war, from 1946 to 1951. In this period, theological formation in the faculty of Munich was essentially determined by the biblical, liturgical and ecumenical movement of the time between the two World Wars.

Biblical study was very fundamental and essential in our formation, and the historical-critical method has always – even if I am not a specialist like Cardinal Martini – been very important for my own formation and subsequent theological work.

Generally, our formation was historically oriented, and so, although my area of speciality was systematic theology, my doctoral dissertation and my postdoctoral work presented historical arguments. My doctoral dissertation was about the notion of the people of God in Saint Augustine; in this study, I was able to see how Augustine was in dialogue with different forms of Platonism, the Platonism of Plotinus on the one hand and of Porphyry on the other. The philosophy of Porphyry was a re-foundation of Politeism and a philosophical foundation of the ideas of classical Greek religion, combined with elements of oriental religions. At the same time, Augustine was in dialogue with Roman ideology, especially after the occupation of Rome by the Goths in 410, and so it was very fascinating for me to see how in these different dialogues and cultures he defines the essence of the Christian religion. He saw Christian faith, not in continuity with earlier religions, but rather in continuity with philosophy as a victory of reason over superstition. So, to understand the original idea of Augustine and many other Fathers about the position of Christianity in this period of the history of the world was very interesting and, if God gives me time, I hope to develop this idea further.

My postdoctoral work was about St. Bonaventure, a Franciscan theologian of the thirteenth century. I discovered an aspect of Bonaventure’s theology not found in the previous literature, namely, his relation with the new idea of history conceived by Joachim of Fiore in the twelfth century. Joachim saw history as progression from the period of the Father (a difficult time for human beings under the law), to a second period of history, that of the Son (with more freedom, more openness, more brotherhood), to a third period of history, the definitive period of history, the time of the Holy of Spirit. According to Joachim, this was to be a time of universal reconciliation, reconciliation between east and west, between Christians and Jews, a time without the law (in the Pauline sense), a time of real brotherhood in the world. The interesting idea which I discovered was that a significant current among the Franciscans was convinced that Saint Francis of Assisi and the Franciscan Order marked the beginning of this third period of history, and it was their ambition to actualise it; Bonaventure was in critical dialogue with this current.

After finishing my postdoctoral work I was offered a position at the University of Bonn to teach fundamental theology, and in this period ecclesiology, history and the philosophy of religion were my main areas of work.

From 1962 to 1965 I had the wonderful opportunity to be present at the Second Vatican Council as an expert; this was a very great time of my life, in which I was able to be part of this meeting, not only between bishops and theologians, but also between continents, different cultures, and different schools of thinking and spirituality in the Church.

After this I accepted a position at the University of Tübingen, with the idea of being closer to the ‘school of Tübingen’, which did theology in a historical and ecumenical way. In 1968 there was a very violent explosion of Marxist theology, and so when I was offered a position at the new University of Regensburg, I accepted not only because I thought it would be interesting to help develop a new university, but also because my brother was the choirmaster of the Chapel of the Cathedral. I hoped, too, that it would be a peaceful time to develop my theological work. During my time there I wrote a book about eschatology and a book about the principles of theology, such as the problem of theological method, the problem of the relationship between reason and revelation, and between tradition and revelation. The Bible was also always the main point of interest for me.

While I was beginning to develop my own theological vision, in 1977 Pope Paul VI named me Archbishop of Munich, and so, like Cardinal Martini, I had to stop my theological work. In November of 1981, the Holy Father, Pope John Paul II, asked me to become the Prefect of the Congregation for the Doctrine of the Faith. The Prefect of the Congregation is also President of two important Commissions, the International Theological Commission and the Pontifical Biblical Commission. The work of these two bodies, each composed of twenty or thirty professors proposed by the Bishops of the world, is carried out in complete freedom and acts as a link between the Holy See and the offices of the Roman Curia on the one hand, and the theological world on the other. It has been very helpful to me to serve as the President of these two Commissions, because it has permitted me to continue somewhat my contact with theologians and with theology. In these years, the two Commissions have published a good number of very important documents.

In the Biblical Commission two documents in particular were very well received in ecumenical circles and in the theological world in general. The first was a document about the methods of exegesis. In the fifty years since the Second World War we have seen interesting developments in methodology, not only the classic historical-critical method, but also new methods that take into account the unity of the Bible in the diverse developments in this literature, and also new methods. I think this document was really a milestone; it was very well accepted, as I said, by the scholarly community. The second document was published last year and concerns the relationship between the Holy Bible of the Jewish people, the Old Testament, and the New Testament. It treats the question of the sense in which the two parts of the Bible, each with very different histories, can be considered one Bible, and in what sense a Christological interpretation of the Old Testament – not so evident in the text as such – can be justified, as well as our relationship to the Jewish interpretation of the Old Testament. In this sense, the meeting of two books is also the meeting of two histories through their cultures and religious realisations. We hope that this document will also be very helpful in the dialogue between Christians and Jews.

The Theological Commission published documents on the interpretation of dogma, on the past faults of the Church – very important after the confessions made repeatedly by the Holy Father – and other documents. At the moment we are publishing a document on the Diaconate and another on revelation and inculturation.

This last argument, the encounter between different cultures, that is, intercultural and interreligious dialogue, is at the moment the main topic for us in our Congregation. After the disappearance of liberation theology in the years following 1989, there developed new currents in theology; for example, in Latin America there is an indigenous theology. This idea is to re-do theology in the light of the pre-Columbian cultures. We also are dealing with the problem of how Christian faith can be present in the great Indian culture with its rich religious and philosophical traditions.

The meetings of the Congregation for the Doctrine of the Faith with Bishops and with theologians, aimed at finding how an intercultural synthesis in the present moment is possible without losing the identity of our faith is exciting for us, and I think it is an important topic even for non- Christians or non-Catholics.

Thank you for the honour of being present with you.

#45   rrrrrr26.05.2005 - 17:48
Il relativismo del Cardinal Martini (ilfoglio)
Mandato da Rassegna Stampa LS Mercoledì, 11 May 2005, 09:48.
Al Direttore,
vorrei difendere il cardinal Martini dal sospetto di “relativismo” ingiustamente insinuato ieri dal Corriere della sera per contrapporlo a papa Ratzinger.

Può essere vero che Martini non s’impegnerebbe in difesa dei tanti cristiani perseguitati (in attesa che si sappia, alla fine della storia, se i persecutori erano veramente da combattere e le vittime da difendere). Può essere vero che, volendo vivere in serena convivenza con tutti, Martini non si sarebbe impegnato in difesa di grandi verità morali (per esempio il diritto alla vita dei più indifesi come le creature appena concepite). Può essere vero (ma non so dirlo con certezza) che, in nome del dialogo, non ripeterebbe con la “Dominus Jesus” che Gesù Cristo è l’unico e universale Salvatore (dovendo “saper vivere nella diversità” bisogna rinunciare alla Verità).

Può anche essere vero (ma non ne sono sicuro) che – qualora fosse stato a capo dell’ex S. Uffizio – Martini non avrebbe avuto da ridire sugli ecclesiastici o i teologi che mettono in discussione, in giornali cattolici e università cattoliche, l’essenza dogmatica della fede cattolica (l’unicità del Salvatore, la resurrezione nella carne di Gesù, la storicità dei Vangeli, il primato di Pietro, la verginità di Maria).

Ma su quello che è opinabile, su quello su cui la Chiesa riconosce piena libertà, il cardinal Martini avrebbe saputo essere inflessibile. Io posso dirlo per conoscenza personale.

Infatti pur essendo un giornalista laico, cioè un non ecclesiastico, sono stato sottoposto, nel 1987, a un procedimento del tribunale dell’inquisizione della Curia di Milano (arcivescovo Martini) per aver osato, in alcuni articoli, rivedere criticamente il ruolo degli intellettuali cattolici italiani, come Giuseppe Lazzati (credo sia un caso unico).
Al mio giornale del tempo, Il Sabato, fu fatta fare una sorta di “abiura” galileiana.

Ne ricavai l’impressione che nella chiesa progressista si possono tranquillamente mettere in discussione le verità dogmatiche (dalla resurrezione di Cristo al primato di Pietro: tutte verità che noi difendevamo strenuamente), ma non si può discutere su Lazzati e compagni se non si vuole rischiare la scomunica.

Il magistero parallelo, quello degli intellettuali, è infallibile. Come quello degli esegeti (a questa categoria appartiene Martini).
Per i moderni esegeti non è affatto vero che nei Vangeli tutto è discutibile: le loro note e i loro commenti sono assolutamente veri, infallibili e indiscutibili. Ne sono certi.
Dunque come possono essere definiti relativisti?

Antonio Socci

P.S. Devo fare anch’io una piccola autocritica: noi – a quel tempo – considerammo la cultura cattolica italiana parlando di un rischio di deriva neoprotestante. Ritengo che ci sbagliammo: il protestantesimo (penso a Niebuhr, a Kierkegaard o a Barth) è una cosa seria…

Fonte: © il Foglio - 10 maggio 2005

#44   martini26.05.2005 - 17:11
ROMA – On the morning of Monday, January 10, 2005, a few hours after the election of Abu Mazen as president of the Palestinian Authority, John Paul II delivered the traditional new year\s speech to the diplomatic corps accredited to the Holy See.

The pope dedicated words bursting with hope to the Middle East, "the land so dear and sacred to believers in the God of Abraham." He said that "armed confrontation appears to be decreasing, with the hope of a political breakthrough in the direction of dialogue and negotiation."

But he added that "an authentic and lasting peace [...] is a power that human beings on their own cannot obtain or preserve: it is a gift from God. Christ came to bring this gift to mankind, as the angels sang above the manger in Bethlehem: \peace among men with whom he is pleased\."

Peace as the work of man and as a gift from God. Peace as the fruit of the political arts and as the result of prayer.

In Jerusalem, there is an eminent churchman who works and prays precisely on behalf of peace as invoked by the pope.

He is Cardinal Carlo Maria Martini, 78, a Jesuit, who was for years a professor of Sacred Scripture at the Pontifical Biblical Institute in Rome, then archbishop of Milan from 1980 to 2002. He has now returned to his beloved biblical studies, in Jerusalem.

But that\s not all. Cardinal Martini was for a long time also the progressivists\ number one candidate to succeed John Paul II. He still is, but now more symbolically than in fact. It is in him and in his famous "dream," which he revealed at the 1999 synod of bishops, that the supporters of a Vatican Council III and a synodal reform of Church governance find their inspiration.

How much of myth, and how much of reality, is there in this image of Cardinal Martini? Those who hoped (or feared) that he, freed from the weight of the archdiocese of Milan, would intensify rather than diminish his proposals for reform, were contradicted by the facts.

Martini has severely curtailed his public appearances. He preaches a great deal, but mostly at retreats (in November 2004, for example, to the priests of the diocese of Rome, at the invitation of Cardinal Camillo Ruini). His books continue to be published, but more because of others\ initiative than because of his own.

"Many books bear my name, but I have neither written them nor read them. These are things I have said on some occasion, which others have transcribed. If a publisher wants to run the risk of publishing them, I won\t say no, as long as he states that the test has not been reviewed by its author. If these books achieve something good, I am happy, because the reader is listening to God\s word, not mine."

Cardinal Martini confided this during a conversation last October 10 with a delegation from the Paul VI Institute of Brescia, which was visiting Jerusalem to commemorate the fortieth anniversary of Paul VI\s voyage to the Holy Land on January 4-6, 1964.

The transcript of the entire conversation appeared in the newsletter of the Paul VI Institute, no. 48, November 2004, pages 91-100.

The most revealing part of this transcript is reproduced below. In it, Cardinal Martini speaks of himself, his return to Jerusalem, his studies, his prayer, his preaching, and his impartial "intercession" for a difficult, but not impossible, peace in the land of Jesus.

It is the faithful self-portrait of a great churchman, in a new season of his life.


"I am going to Jerusalem, bound in the Spirit, not knowing what shall befall me there"

by Carlo Maria Martini


Once, during a private audience, Paul VI said to me from his prepared text: “I would like every Christian to go at least once to Jerusalem.” [...] I have been living in Jerusalem for two years now. I handed over my flock to my successor [in Milan] on September 28, 2002, and I arrived here on October 1. I still have duties in Rome as a cardinal: practically speaking, I live here eight months out of the year and spend the other four in Rome, where I live near the Sanctuary of Belloro, in a house of retreat and spiritual exercises for the Jesuit fathers.

Here [in Jerusalem] I live at the Pontifical Biblical Institute, founded at the end of the 1920\s as an extension of the Pontifical Biblical Institute in Rome. [...] At the moment, we are hosting students who are taking a semester at Hebrew University. I was the one who initiated, thirty years ago, this organic link with that university, which provides courses that we accredit just like our own courses at the Institute. We therefore invite all our students to attend a semester of studies at Hebrew University, which offers courses in language, archeology, history, exegesis, etc. Unfortunately, only fifteen or twenty out of a hundred accept, for reasons which I believe can be traced back to fear [...].

What brought me to Jerusalem? When people ask me why I chose to live in Jerusalem, I answer that I don\t know. It was the Holy Spirit. There are inspirations for which one cannot give logical reasons. I always recollect that passage from the Acts of the Apostles in chapter 20, in which Paul tells the elders of Ephesus and Miletus: "I am going to Jerusalem, bound in the Spirit, not knowing what shall befall me there." I have let myself be drawn in by these words and by this power of the Spirit.

My life here is very good, and I am very happy to be here, because Jerusalem is truly a place of extraordinary symbolism, it is a place in which one breathes biblical history, from the patriarchs to the prophets to Jesus and His passion, death, and resurrection. It is a place full of fascination for the Christian, for the believer, because Jesus was here, this is the land He saw, the sky He contemplated, the stones He tread upon, the places where He spilled His blood, the places in which the word was spread: "He is risen." I find continual inspiration here for my prayer and meditation.

I live, moreover, that prayer defined as intercession, in the etymological sense of the word. I "walk among" different contenders without wanting to agree or disagree with any of them, but praying equally for all. The political situation today is so intricate and entangled that even a competent person would find it difficult to explain objectively what has happened, why, and how. I don\t know Arabic; I understand biblical Hebrew, but not the modern kind. I don\t have the credentials to judge. I prefer [...] to put into practice the words of Jesus: "Judge not, and you will not be judged." It is difficult to say: "That one suffers more, this one suffers more." Who will begin to list the rights and wrongs? They extend to infinity. And there is no exit without some new step.

On the other hand, this is not only a place of conflict, it is above all a place of dialogue. Many basic forms of dialogue are carried out: dialogue between Jews and Christians, between Jews and Muslims, three-way dialogue among Jews, Muslims, and Christians. There are many institutions in Jerusalem that cultivate these forms of dialogue. And there are also many initiatives of welcome, forgiveness, reconciliation, help, assistance, volunteerism. That is truly extraordinary.

Some time ago I met two persons who are well known in the professional life of this country, one Jewish and one Arab. Both have mourned the effects of violence on their families, and they decided to get together to understand each other\s suffering. Thus was born a group of families, each of which has a son or daughter killed by terrorism, war, etc. These families meet regularly, speaking together and promoting peace initiatives.

In my view this is the way, the path of justice. Justice must be rendered to those who deserve justice, and many are crying out because they deserve justice. As John Paul II says and has often repeated, "there is no peace without justice, no justice without forgiveness." If we want only to avenge the wrongs we have received, we end up with a spiral of violence like the present one [...].

I see no political possibilities of peace except through a change of mentality. We must hope that these basic forms of dialogue will lead, little by little, to a culture which would at the outset be part of public opinion – seeing that the mass media now know almost nothing about this reality of dialogue, encounter, assistance, help – and tomorrow would become also a political reality. There is hope, and there is continual prayer for peace. I know that my intercession and prayer are worth little, but I add them like a drop to the immense river of the Church\s prayer, which is also the prayer of Christ as intercessor, as Saint Paul says: "He always lives to make intercession for them." I have complete faith in this prayer because I know that the Lord listens to it, perhaps not answering immediately with astonishing actions, but with the peace that He sows within hearts. And there really are many gestures and initiatives of peace, as I said. My prayer, moreover, is aided by these Holy Places.

I have also tried to take up my studies again: before I became archbishop of Milan, I was a professor of textual criticism at the Biblical Institute. I have begun my study from the ancient biblical manuscripts. I have already issued my first publication: the critical edition of the Bodmer VIII papyrus, a papyrus from the third century, the oldest existing version of the Letters of Peter. The pope gave a copy of this to all the cardinals on the occasion of the twenty-fifth anniversary of his pontificate. I am now preparing another work, which occupies a great deal of my attention, and this is a critical introduction to the Vatican Greek Codex 1200, which includes all of the Greek Bible, the famous Codex B.

Finally, I have a third activity: the reception of pilgrims. Today it is not so simple [to come], even though I continue to say – and it is true – that there are no real risks for pilgrims. The mass media concentrate above all on the dramatic and sorrowful events, and thus one always needs a bit of courage to be one of those, as the psalm says, "whose hearts are set on pilgrim roads." Naturally, because of time constraints, I can only receive groups connected with Milan, that is, to my former activity: I meet with parish groups, priests, laity. I have remained closely connected to my diocese: I still recite the Ambrosian breviary, follow the Ambrosian [liturgical] calendar, and am still Ambrosian according to canon law.

I also preach some retreats. Last week, for example, I gave a retreat to the Carmelite sisters on the Mount of Olives, in the place called "Pater." Next week I will preach in Bethlehem to the priests of Milan whom I ordained in 1997 and who have decided to come here to be on retreat with me.

I try to make myself useful, to live a somewhat active old age, in spite of the infirmities of age felt by all – I am, after all, almost 78. In Milan I did not notice any sense of fatigue, but I was aware that it was right to leave after reaching 75. I am happy with this choice, because I could not have continued to keep my former pace. Here, instead, I can pray, remember all the people I\ve met, and intercede for all.

#43   fffffHomepage26.05.2005 - 16:34
Le sorprese di un Papa pastore e pescatore


FORSE non ci sarà bisogno di attendere i fatidici «cento giorni» per capire il corso del nuovo pontificato. Adesso la sorpresa è lui, Benedetto XVI, ma credo si debba essere cauti nel valutare i primi passi di un cammino che egli stesso ha definito fra i più faticosi che si possano immaginare, tanto da chiedere insistentemente di non essere lasciato solo, di non fargli mai mancare il sostegno della comunione fraterna da parte dei cardinali e dei vescovi, e il conforto della preghiera di tutti i fedeli. È una lettura di quella «collegialità» esaltata dal Concilio Vaticano II e che sembrava essere stata in qualche misura ridimensionata dal Ratzinger teologo e «guardiano della fede». Il proposito di farsi padre e pastore di tutti, con evangelica disposizione al servizio piuttosto che al comando, unita all’affabilità, ha stupito non pochi. Domenica scorsa si è notata la sobrietà dei gesti e delle parole. Papa Ratzinger non ha fatto, come molti si attendevano, il «discorso della corona»; ha piuttosto disegnato il quadro di riferimento del suo servizio pastorale, commentando da par suo le letture della messa e indugiando non poco sul significato del Pallio, quella striscia di pura lana d’agnello postagli sulle spalle, simbolo del «giogo soave» che Cristo gli ha riservato scegliendolo come suo Vicario; e dell’Anello del pescatore, sigillo dell’unione indissolubile che lega il Papa alla Chiesa, sposa di Cristo. Da questi segni Benedetto XVI ha tratto lo spunto per indicare due priorità del suo magistero, spiazzando chi si attendeva la grinta del restauratore o il rigore intellettuale dell’apologeta, e si è trovato di fronte alla «santa inquietudine» del pastore. Val la pena citare testualmente un passaggio dell’omelia, riferito al Pallio: «L’umanità - noi tutti - è la pecora smarrita che, nel deserto, non trova più la sua strada. Il figlio di Dio non tollera questo; egli non può abbandonare l’umanità in una simile miserevole condizione. Balza in piedi, abbandona la gloria del cielo, per ritrovare la pecorella e inseguirla, fin sulla croce. La carica sulle sue spalle, porta la nostra umanità, porta noi stessi. Egli è il buon pastore che offre la sua vita per le pecore. Il Pallio dice innanzitutto che tutti noi siamo portati da Cristo. Ma allo stesso tempo ci invita a portarci l’un l’altro. Così il Pallio diventa il simbolo della missione del Pastore. La santa inquietudine di Cristo deve animare anche il Pastore». Il richiamo all’unità viene formulato da Papa Benedetto proprio in rapporto a questi due segni. «Nell’immagine del pastore e in quella del pescatore emerge in modo esplicito la chiamata all’unità», intesa non tanto come il «ritorno» forzato delle pecore ribelli all’unico ovile, ma come la realizzazione della volontà di Cristo, di cui tutti i suoi discepoli devono farsi carico, e massimamente, il suo rappresentante sulla terra, il Papa di Roma. Perciò, conclude il Papa, rivolgendosi direttamente al Signore, «rallegriamoci per la tua promessa, che non delude e facciamo tutto il possibile per percorrere la via verso l\unità, che tu hai promesso… Aiutaci ad essere servitori dell\unità!». Chi si augurava o si aspettava il «crociato» che, lancia in resta, parte alla difesa dell\identità cattolica europea, minacciata da nuovi «barbari», e ha letto in questa chiave persino la scelta del nome, che rinvia a San Benedetto da Norcia, baluardo della civiltà e della cultura cristiana in tempi travagliatissimi per la Chiesa e la società, si è trovato di fronte «l\umile lavoratore nella vigna del Signore», impegnato in prima linea per l\unità dei cristiani, la pace e la riconciliazione fra gli uomini. Benedetto XVI ha ribadito questi concetti anche nella prima udienza generale del mercoledì, annunciando che dalla prossima settimana si tornerà alla normalità, sulla scia dei suoi immediati predecessori. Le lezioni di catechismo saranno perciò riprese al punto in cui la morte di Giovanni Paolo II le ha interrotte. Non ipotechiamo il futuro, ma un segnale inequivocabile l\abbiamo avuto: la continuità con Papa Wojtyla non impedirà a Papa Ratzinger di essere lucidamente e serenamente se stesso.



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